Die Buchmalerin
die sich im ersten Stock eines Fachwerkhauses befand. Donata griff nach dem Geländer, zog sich daran hoch und blieb schwankend stehen. Am Ende der Gasse erhob sich der quadratische Kirchturm. Sobald sie ihn erreicht hatte, würde sie auch den blauen Himmel wieder finden. Den Himmel ihrer Heimat.
Donata taumelte auf die Kirche zu, wobei sie kaum bemerkte, dass sie immer wieder im Schnee ausglitt. Zerlumpte Bettlerinnen und Bettler kauerten vor dem Portal des Gebäudes. Die Hände und nackten Füße der Menschen waren von Frostbeulen übersäht. Verwirrt betrachtete Donata die Leute. Niemand im Languedoc litt so sehr an der Kälte.
Für einen Augenblick wurde Donatas Geist wieder klar. Sie begriff, dass sie sich in einem nördlichen Land befand und die Menschen, die vor dem Portal saßen, sich auf sie stürzen und sie ausrauben würden, wenn sie sich neben ihnen niederließ und die Besinnung verlor. Doch im nächsten Moment erfasste das Fieber sie wieder. Trotz des erneuten Anfalls blieb Donata die Ahnung, dass es nicht gut für sie war, wenn sie bei den Bettlern blieb. Deshalb hinkte sie um die Kirche herum. Dort, auf der anderen Seite des Bauwerks, hockte sie sich in den Winkel, den der Turm mit den Mauern des Kirchenschiffes bildete. Ihr war glühend heiß. Um ihren brennenden Durst zu stillen, griff sie in den Schnee und stopfte sich eine Hand voll in den Mund. Kaum dass sie den Schnee hinuntergeschluckt hatte, schüttelte sie wieder ein heftiger Husten und sie verlor die Besinnung.
Donata erwachte davon, dass jemand sie an den Armen packte und hochhob. Sie versuchte, sich gegen den Griff zu wehren. Aber die Hände, die sie gefasst hatten, ließen sie nicht los. Stimmen, die von weit her zu kommen schienen, redeten auf sie ein. Als sie die Augen öffnete und den Kopf herumwarf, sah sie die Gesichter von zwei Frauen über sich. Die beiden hatten sie unter den Achseln gepackt. Ein breitschultriger, grauhaariger Mann, der die Tracht eines Knechtes trug, hielt sie bei den Füßen fest. Wieder versuchte Donata, sich zu wehren. Aber ihre Glieder gehorchten ihr nicht und mehr als ein schwaches Aufbäumen brachte sie nicht zu Stande.
Erneut sprachen die beiden Frauen beruhigend auf sie ein. Wie Bettlerinnen wirkten sie nicht. Die eine war jung, hatte ein schmales, ovales Gesicht mit großen grauen Augen, die dunkle Ringe umrandeten. Unter dem groben Wolltuch, das ihren Kopf bedeckte, fielen blonde Haare hervor. Es war ein sanftes Gesicht wie das einer Madonnen-Miniatur in einem Buch. Die andere Frau war bedeutend älter. Ihre Gesichtszüge waren grob und ihre braunen Augen hatten einen strengen, aber klugen Ausdruck.
Die drei trugen Donata zu einem Brett, das im Schnee lag, legten sie darauf und fassten es an den Seiten. Donata tastete nach ihrem Bündel, doch sie hatte es nicht bei sich. Sie wand sich und drehte den Kopf. Im Winkel zwischen den Mauern, wo sie sich hingekauert hatte, hob es sich als ein bräunlicher Fleck vom schmutzigen Weiß des Schnees ab.
Die ältere Frau griff nach ihren Schultern, drückte sie auf das Brett nieder und sagte bestimmt: »Du musst keine Angst haben. Wir bringen dich zu unserem Haus und werden dich dort pflegen.«
Donata wollte sagen, dass ihr Bündel bei den Mauern lag, dass sie es haben musste, brachte jedoch nur ein Krächzen hervor. Verzweifelt nahm sie wahr, wie das Brett hochgehoben wurde. Immer noch blickte sie zu dem Bündel.
Ihre Träger hatten schon einige Schritte zurückgelegt, als die blonde Frau, die ihrem Blick gefolgt war, sagte: »Halt! Wartet!«
Das Brett wurde wieder auf dem Boden abgesetzt. Nachdem die junge Frau ihr das Bündel gebracht hatte, presste Donata es fest an sich.
Während sie durch die Gassen getragen wurde, lag sie auf dem Rücken und blickte in die graue Wolkenmasse, die langsam über sie hinwegtrieb. Das leichte Schwanken des Brettes erinnerte Donata an die Bewegung des Schiffes. Ein Schwarm Möwen zog kreischend über den Himmel. Die Wolken erschienen ihr plötzlich wie Wasser und Donata hatte die Empfindung, dass sie ihren Körper vom Brett spülten. Sie verlor jeden Halt. Die Wellen brachen über sie herein und zogen sie in die Tiefe.
*
Als Donata wieder zu sich kam, schaute sie auf eine Luke, die sich in einer schmalen, gekalkten Wand befand. Grauer Nebel hing dahinter. Das Wiehern eines Esels und die Stimmen von Menschen drangen von draußen an ihr Ohr. Da sie das Gefühl hatte, innerlich zu verbrennen, wollte sie die bunt
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