Die Buchmalerin
Biegung gelegen … Nicht weit von ihr entfernt bildete das Ufer eine schattenhafte Krümmung in der Düsternis. Aus der Richtung des Klosters ertönte das Gebell von Hunden. Der Schein der Fackeln wurde heller. Die länglichen Umrisse der kieloben liegenden Bootskörper tauchten nun vor ihr auf. Sie würde es nicht schaffen, eines der Boote umzudrehen. Sie war zwischen ihren Verfolgern und dem eisigen Wasser gefangen.
Fast verrückt vor Angst lief Donata weiter, stieß gegen eine harte Kante. Sie verlor das Gleichgewicht, ihre Hände, die nach Halt suchten, trafen auf eine lederne Plane. Das Boot, an dem der Bauer am Nachmittag gearbeitet hatte … Es lag nicht kieloben … Sie stemmte sich dagegen, kam auf einer Eisplatte ins Rutschen. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihr rechtes Bein. Sie verlor das Gleichgewicht und prallte gegen den Kahn. Er bewegte sich, glitt auf das Wasser zu. Obwohl ihr der Schmerz fast den Atem verschlug, taumelte sie dem Boot nach. Eine dünne Eisschicht splitterte unter ihren Füßen und die Kälte des Wassers schlug sich in ihren Körper. Aber es gelang ihr, sich in den Kahn zu ziehen.
Die Ruder … Wo waren sie? Einen panischen Augenblick lang glaubte Donata, es lägen keine im Boot. Aber schließlich fühlten ihre Hände das glatte Holz eines Schaftes. Das Hundegebell war jetzt ganz nah. Sie versuchte, den Kahn vom Ufer wegzudrücken, und führte einige mehr verzweifelte als kräftige Stöße aus. Doch die Flut half ihr und trieb das Gefährt langsam auf die Mitte des Flusses zu. Donata kauerte sich nieder. Als sie es wagte, über den Bootsrand zu spähen, waren die Männer und Hunde am Ufer angelangt. Die Hunde bellten laut über den Fluss. Aber das Licht der Fackeln erreichte das Boot nicht mehr.
*
Roger hielt sich im Gedränge der Menschen verborgen. Schreie und Fackelschein erfüllten den Klosterhof. Beißender Rauch wehte herein. Er achtete nicht auf das aufgeregte Geschwätz der Leute. Seine Aufmerksamkeit galt den Bediensteten des Kardinals. Einige von ihnen sprachen auf den rothaarigen Mann ein, der die Frau verfolgt hatte und der gegen den Karren gerannt war. Roger wich weiter zurück. Ob der Rothaarige ihn in dem kurzen Augenblick gesehen hatte, als er das Gestänge des Karrens ergriff? Oder ein anderer auf dem Hof? Zornig verwünschte er sich für das, was er getan hatte. Wie um alles in der Welt hatte er sich nur dazu hinreißen lassen können, seinen Auftrag derart zu gefährden?
Ohne in seiner Wachsamkeit nachzulassen, vergegenwärtigte Roger sich noch einmal die Momente am Tor. Das blutige und zerschlagene Gesicht der Frau, ihre Angst und verzweifelte Wut … Irgendetwas an ihrem Antlitz kam ihm bekannt vor. Aber er konnte nicht sagen, was es war.
Léon, der Diener des Kardinals, war nun ebenfalls zu dem Rothaarigen getreten und redete mit ihm. Warum kümmert er sich um eine Frau, die der Zauberei verdächtig ist?, ging es Roger durch den Kopf. Der Blick des Dieners wanderte über die Menge und er winkte einige der Soldaten des Kardinals zu sich.
Er musste von hier verschwinden … Roger drängte sich zwischen den Gaffern durch. Ein Krachen von zusammenstürzenden Balken ertönte. Flammen loderten gegen den Himmel und Funken sprühten über den Hof. Eine Gruppe von Männern hastete in Richtung der Stallungen. Roger schloss sich ihnen an und gelangte so unbehelligt ans Tor und hindurch.
Draußen, in der Dunkelheit auf dem Feld, verharrte er kurz. Vom Flussufer her leuchteten Fackeln und erschallten Gebell und lautes, ärgerliches Rufen. Sie hatten die Frau also noch nicht ergriffen. Rasch wagte Roger einen Blick zurück in den Hof. Das Menschengetümmel hatte sich gelichtet. Der Diener des Kardinals sprach immer noch auf den rothaarigen Mann ein. Wieder schoss Roger durch den Kopf, dass ihm die flüchtende Frau auf irgendeine Weise bekannt vorgekommen war. Aber es wollte ihm nicht einfallen, inwiefern.
*
Der Kardinal von Trient bedachte die drei Männer, die vor ihm im Kapitelsaal des Klosters standen, mit einem nachdenklichen Blick. Zwei der Männer, von denen der eine breitschultrig und stämmig war und in seiner verkrampften Haltung an einen Stier erinnerte, der vor einem Hindernis zurückschreckt, und ein blonder, dünner, der sich fahrig bewegte, hielten sich im Hintergrund. Der dritte, ein rothaariger drahtiger Mann, war einen Schritt vor die beiden getreten. Zwar neigte er, wie auch die anderen zwei, respektvoll den Kopf, so als ob ihn der mit
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