Die Buchmalerin
Säulen und Gesimsen geschmückt. Die Wolken über dem Kirchturm rissen auf. Der Himmel, der zwischen ihnen zum Vorschein kam, hatte eine tiefblaue Farbe. Wie der Himmel eines südlichen Landes. Wie der des Languedoc, ihrer Heimat.
Das Fieber setzte Donata immer mehr zu und mit ihrem verletzten Bein konnte sie kaum gehen. Trotzdem wusste sie, dass es ihr gelingen musste, eine Arbeit und eine Unterkunft zu finden. Sonst würde sie die nächsten Tage nicht überleben. Und ihr war auch gegenwärtig, dass es besser für sie war, wenn sie sich hier in der Stadt als Frau ausgab. Auf diese Weise lief sie weniger Gefahr, entdeckt zu werden.
Ganz in ihrer Nähe stand ein Tor offen. Der Hof dahinter war menschenleer. Donata schlüpfte hinein und blickte sich hastig um. Als sie sicher war, dass ihr niemand folgte, schleppte sie sich zu einigen niedrigen, windschiefen Hütten, die an einem geflochtenen Zaun lehnten. Sie schaute sich nochmals um, ehe sie sich in einen Winkel zwischen den Hütten kauerte. Schnell zog sie, so gut es mit ihren Händen möglich war, die sich seltsam ungeschickt verhielten und Schwierigkeiten hatten, richtig zuzugreifen, das Kleid über ihren Kittel und ihre Hose.
Als Donata damit fertig war, band sie sich ein Wolltuch um den Kopf und legte ihren Mantel um die Schultern. Sie machte sich auf den Weg zurück zum Tor. Doch ein heftiger Husten schüttelte sie und sie musste sich gegen eine der Hütten lehnen, um nicht hinzufallen. Als der Hustenreiz nachließ, hatte sie Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Schließlich gelang es ihr, das Tor zu erreichen und hinaus auf die Gasse zu treten.
Als sie einige Schritte weit gehumpelt war, trat ein älterer Mann, der die Tracht eines Handwerkers trug und ein gutmütiges Gesicht hatte, aus einem Haus. Donata fragte ihn, wo in der Stadt sie das Viertel der Weber finden könne. Während sie sprach, wunderte sie sich, wie rau und bellend ihre Stimme klang. Es fiel ihr schwer, die wenigen Worte zu sagen. Der Mann musterte sie verwundert, beschrieb ihr jedoch den Weg.
Während Donata in die angegebene Richtung lief, musste sie sich mehrmals gegen Hauswände lehnen, um nicht niederzustürzen. Trotz der Kälte war ihr glühend heiß. Dann und wann schüttelte sie erneut ein Husten, der ihr auch die letzten Kräfte raubte. Die Menschen, die ihr entgegenkamen, und die Häuser zu beiden Seiten der Gasse schienen zu schwanken und die Türme, die über den niedrigen Dächern aufragten, mit den langsam dahintreibenden Wolken fortgezogen zu werden. Donata umklammerte ihr Bündel. Ging sie tatsächlich noch in die Richtung, die ihr der Mann gezeigt hatte? Sie durfte nicht stürzen und die Besinnung verlieren. Denn in diesem Fall wäre sie eine leichte Beute für Diebe, Bettler oder ausgehungerte Kinder. Sie musste eine Weberei finden und sie musste es schaffen zu arbeiten …
Donata sah die zu Knoten geschlungenen, mit Waid gefärbten Fäden vor sich, die durch die Litzen eines Webstuhls gezogen werden mussten. Ein Faden durch die Litzen des ersten Kammes, der nächste durch die Litzen des zweiten … Oder verhielt es sich ganz anders und alle Fäden mussten zuerst durch einen Kamm und dann die anderen durch den nächsten Kamm gezogen werden? Die Fäden gerieten vor ihren Augen durcheinander, hingen wirr zu beiden Seiten der Kämme herab. Eine Leinenbindung … Sie hatte oft genug einen Stoff in einer Leinenbindung gewebt … Sie hatte oft genug die Kettfäden eingezogen.
Während Donata am Rand der Gasse mühsam weiterschlich, blickte sie auf ihre rechte Handfläche. Voller Angst fragte sie sich, ob ihr die Hände nun gänzlich den Dienst versagen würden. Sie glaubte, einen Partikel von Waid darauf zu sehen. Die blaue Farbe weitete sich und wuchs, überzog den wolkenverhangenen Himmel mit ihrer Strahlkraft. Der Himmel des Südens … Donata ging rascher. Ihre Schwäche und die Schmerzen in ihrem Bein hatten sich verloren. Sie übersah eine Eisplatte, glitt aus und fiel.
Die Speichen eines Karrenrades drehten sich nur wenige Hand breit von ihr entfernt durch den Matsch. Füße, die in derbem, schmutzigem Schuhwerk steckten, zogen an ihr vorbei. Als Donata den Blick hob, erkannte sie, dass der Himmel über den strohgedeckten Hausdächern wieder dunkelgrau war. Eine tiefe Enttäuschung erfasste sie.
Sie erinnerte sich, dass sie irgendwohin hatte gehen wollen, wusste aber nicht mehr, was ihr Ziel gewesen war. Dicht neben ihr führte eine hölzerne Treppe zu einer Tür,
Weitere Kostenlose Bücher