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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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uns.«
    Die Stimmung kann schnell umschlagen, dachte Donata zornig. Menschen, die sich heute nahe sind, verraten sich schon morgen, wenn ihnen die Inquisition droht.
    »Warum bist du nach Köln gekommen?«
    Bilhildis’ Frage überrumpelte Donata. »Ich … Ich suche Arbeit als Weberin«, stammelte sie.
    Im nächsten Augenblick verwünschte sie sich für diese Antwort. Eben gerade hatte sie kundgetan, dass sie um die Gefahren wusste, die Ketzern drohten. Viele Albigenser zogen, nachdem sie aus ihrer Heimat geflohen waren, als Weber durch die Nachbarlande. Und ihre Sprache hatte immer noch einen leichten französischen Klang. Sie war froh, dass mittlerweile das Licht so schwach geworden war, dass Bilhildis ihr Gesicht nicht mehr genau erkennen konnte.
    »So viel ich weiß, kommen unsere drei Weberinnen kaum damit nach, die Aufträge zu erfüllen, die bei ihnen eingehen. Ich werde Luitgard, unserer Vorsteherin, sagen, dass du Weberin bist. Ihr ist es bestimmt lieb, wenn du in unserer Webstube arbeitest, bis du eine andere gute Anstellung gefunden hast. Und …« Bilhildis unterbrach sich. Der Ton eines Beckens klang durch das Haus. Nun bemerkte Donata, dass das gleichmäßige Schlagen der Webstühle, das ihr und Bilhildis’ Gespräch begleitet hatte, verstummt war. Stattdessen drang das Gemurmel von Stimmen in den Verschlag.
    »Wir treffen uns zum Gebet.« Bilhildis erhob sich und berührte Donata an der Schulter. »Morgen oder spätestens übermorgen kannst du für einige Zeit aufstehen. Nach dem Gebet schicke ich jemand mit etwas zu essen herauf.«
    Nachdem Bilhildis den Raum verlassen hatte, legte Donata sich nieder. Sie breitete die Decken über sich und sah zu, wie die graue Dämmerung in Schwärze überging. Von unten aus dem Haus, zu weit entfernt, als dass sie einzelne Worte hätte verstehen können, aber doch vernehmbar, war eine Frauenstimme zu hören, die etwas aufsagte. Andere Stimmen antworteten ihr.
    Dem Wechsel der Stimmen lag eine Rhythmik zu Grunde, die Donata an die Gesänge der Nonnen erinnerte. Sie sah die von einer Vielzahl von Gemälden geschmückte Kirche der Benediktinerinnen vor sich, sah die Nonnen in dem hölzernen Chorgestühl sitzen und hörte sie singen. Manchmal wenn die Morgensonne durch die Fenster der Apsis fiel oder wenn der Schein der Kerzen über die Gemälde spielte, hatte sie die Empfindung gehabt, sich im Innern eines vielfarbigen Steins zu befinden. Und wenn sie die Augen geschlossen hatte, war der Gesang der Nonnen ein blaues Licht gewesen, das in der Mitte des Steins entstand und ihn erfüllte, ohne die anderen Farben auszulöschen. Aber die Nonnen hatten sie verraten und seitdem musste sie vor der Inquisition fliehen.
    Eine Woche lang befand sie sich nun in diesem Haus. Das Ende des Monats war näher gerückt. Zwei bis drei Wochen würde es sicher dauern, bis sie wieder ohne Schwierigkeiten laufen konnte. Zwei bis drei Wochen … Länger konnte sie nicht bleiben, denn früher oder später lief sie immer Gefahr, sich zu verraten. Und es war auch nicht gut, wenn sie bei Menschen lebte, die auf irgendeine Weise das Augenmerk der Inquisition auf sich ziehen konnten.
    Aber während dieser zwei oder drei Wochen würde sie einen warmen Schlafplatz und regelmäßig zu essen haben. Eine längere Zeitspanne, ging es ihr durch den Kopf, als ihr jemals in den vergangenen vier Jahren zuteil geworden war. Sie schlief ein, bis eine Begine mit einem Kienspan und einer Schale Suppe in der Hand den Verschlag betrat. Nachdem Donata hastig gegessen hatte, überfiel sie sofort wieder der Schlaf und, zum ersten Mal seit langem, hatte sie eine ruhige Nacht ohne Albträume.

    *

    Roger deutete in der niedrigen Stube eine Verbeugung an und sagte laut: »Wenn jemand in diesem Raum an Krankheiten oder Gebrechen leidet – welcher Art und wie schlimm sie auch immer sein mögen –, ich, ein weit gereister Arzt und in vielen Heilkünsten bewandert, werde zu helfen wissen.« Ein Bewohner des nahen Dorfes hatte ihm erzählt, dass dieses Bauernhaus an der Straße nach Andernach auch als Schenke diente.
    Forschend blickte er sich in dem dämmrigen Raum um. Draußen war die Luft klar und wieder einmal so eisig, dass sie im Gesicht brannte. Doch durch die Säcke vor den Fensterhöhlen des kleinen strohgedeckten Hauses, die vor der Kälte schützen sollten, fiel nur gedämpftes Licht. Die bäuerlich gekleideten Männer, die an dem großen Tisch in der Mitte des Raumes saßen und würfelten, wandten ihm kurz

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