Die Buchmalerin
gestreiften Wolldecken, die über sie gebreitet waren, wegstoßen. Doch sofort trat die Frau mit den strengen Augen, die ihr gesagt hatte, sie müsse keine Angst haben, aus einer Ecke des Verschlages.
Die Frau richtete sie auf und flößte ihr mit einem Becher eine süß schmeckende Flüssigkeit ein. Danach steckte sie die Decken so fest, dass Donata sich kaum noch bewegen konnte. Sie war zu erschöpft, um sich zu wehren, und schlief wieder ein.
Manchmal, wenn sie das Bewusstsein zurückerlangte, war der Himmel hinter der Luke hell und sonnig und die Luft, die den winzigen Raum füllte, eisig und klar. Manchmal fiel Schnee hinter der schmalen Öffnung nieder. Manchmal war der Himmel dunkel und das Licht eines Kienspans verbreitete eine spärliche, unstete Helligkeit in dem Verschlag. Aus den Schatten stiegen die Dämonen hervor. Der geflügelte Dämon mit dem Fischleib hetzte sie. Dann wieder lockte sie der katzengleiche mit Pinseln und Farben. Und immer wieder sah Donata, wie sich der Dolch des Mannes, dessen Antlitz dem einer römischen Statue glich, in den Leib des Mönches bohrte, und hörte seine samtweiche Stimme.
Wenn sie schreiend erwachte, trat eine Frau zu ihr – häufig die ältere Frau mit dem groben Gesicht und den strengen Augen, ab und zu die junge blonde Frau, die Donata das Bündel zurückgegeben hatte, und manchmal auch eine, die ihr noch unbekannt war. Die Frauen redeten auf sie ein, setzten ihr einen Becher an die Lippen und flößten ihr den süßen Saft ein. Danach schlief sie meist traumlos.
Allmählich wurden die Zeiten, in denen Donata bei Bewusstsein war, länger. Aber noch immer war sie zu schwach, um sich allein aufzusetzen. Häufig lag sie mit geschlossenen Lidern da und horchte auf das Knistern der Wolle, wenn eine der Frauen, die auf einem Schemel in der Ecke saß, Wolle mit der Spindel spann, oder auf das, was sie leise miteinander besprachen, wenn sie sich zu zweit in dem Verschlag aufhielten. Sie vernahm das Wort ›Beginen‹ und erinnerte sich daran, dass sie es schon öfter während ihrer Wanderungen gehört hatte, wusste jedoch nicht mehr, ob es etwas Gutes oder Schlechtes bedeutete. Sie registrierte, dass die Frau mit den groben Gesichtszügen Luitgard gerufen wurde und der Name der blonden Frau Bilhildis war.
Bei einer anderen Gelegenheit, während der Nacht, hörte sie zwei Frauen tuscheln. Die Stimmen der beiden kannte sie nicht. Donata dämmerte zwischen Wachen und Schlafen. Wenn sie die Frauen nicht den Namen ›Bilhildis‹ hätte nennen hören, wäre sie wahrscheinlich eingeschlafen. So aber kämpfte sie gegen die Müdigkeit an und bemühte sich, auf das zu achten, was die Frauen redeten. Sie verstand nicht alles, aber doch genug, um zu begreifen, dass Bilhildis zu jenen Menschen gehörte, die Gott schauten, und es darüber Gerede in der Stadt gab. In dieser Nacht suchten Donata erneut schlimme Albträume heim.
Einige Tage später, als sie wieder einmal die Augen aufschlug, fiel der Schein der Sonne durch die Luke. Ein tiefgelbes Licht füllte den Verschlag. Donata blinzelte gegen die Helligkeit und fragte sich, ob es Morgen oder Abend sein mochte. Von irgendwoher aus dem Haus war das dumpfe, rhythmische Schlagen von Webstühlen zu hören und ihr wurde klar, dass sie dieses Geräusch schon oft zuvor im Wachen oder auch in ihren Träumen vernommen hatte. Ebenso wie die unterschiedlichen Frauenstimmen schien es ein Bestandteil dieses Hauses zu sein.
Donata legte den Unterarm auf die Stirn und lauschte genauer auf die Laute, die zu ihr drangen. Eine Tür schlug zu. Eine Frau rief etwas, eine andere antwortete weiter entfernt. Männerstimmen hatte sie in diesem Haus noch nicht gehört. Sie fragte sich, ob das Gebäude Teil eines Klosters war, verwarf diesen Gedanken jedoch wieder. Die Frauen, die ihr die Arznei eingeflößt, die sie gefüttert und ihr dann und wann eine Bettschüssel untergeschoben und ihr ein sauberes Hemd gegeben hatten, trugen keine Ordenstracht. Und nie hatte sie an diesem Ort die Gesänge der Nonnen gehört. Sie war froh darüber.
Mein Bündel!, durchfuhr es sie. Wo war ihr Bündel? Hastig setzte sie sich auf. Als sie sich unruhig umschaute, erspähte sie den grob gewebten Stoff am Fußende ihres Lagers. Jemand hatte das Bündel in den schmalen Raum zwischen dem Strohsack und der Wand geschoben. Erleichterung machte sich in ihr breit. Sie zog es heran und schlug es auseinander. Es enthielt all ihre Dinge. Niemand hatte etwas herausgenommen.
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