Die Buchmalerin
sich untertags nicht mehr in die Nähe des Kardinals und dessen Gefolge. Denn er bezweifelte, ob ihn wirklich niemand unter dem Tor gesehen hatte, als er der Frau zu Hilfe gekommen war. Um sein Aussehen zu verändern, hatte er seinen Bart abrasiert. Aber ehe er sich wieder in den Umkreis des Trosses begab, musste er trotzdem noch einige Zeit verstreichen lassen.
Gegen seinen Willen sah Roger wieder das angstverzerrte Gesicht der Frau vor sich und ihren zerrissenen Kittel, der kaum noch ihre Brüste bedeckte. Gleichzeitig erinnerte er sich an jenen seltsamen Moment, der nicht länger gedauert hatte als ein Lidschlag, als sie etwas in der Dunkelheit über ihm geschaut zu haben schien und ihr Gesicht einen … ja, beinahe entrückten Ausdruck angenommen hatte. Er war es gewohnt, sich in der Gewalt zu haben und nicht unüberlegt zu handeln – seine Lehrer hatten ihm Selbstbeherrschung mit drastischen Mitteln eingebläut –, und er begriff immer noch nicht, wie er so unverantwortlich hatte handeln und ihr helfen können.
Er schob die Gedanken beiseite. Es nutzte nichts, wenn er sich mit etwas beschäftigte, was geschehen und nicht mehr zu ändern war. Noch einmal, das hatte er sich geschworen, würde ihm ein derartiger Fehler nicht unterlaufen. Und für den Augenblick war es am wichtigsten, dass er endlich wieder eine Weile schlief. Sonst würde er aus reiner Übermüdung unachtsam handeln.
Roger hatte seine Mahlzeit fast beendet, als die Tür der Schenke aufgestoßen wurde und ein Schwall frischer Luft in die verräucherte Stube drang. Die Frau, die vorhin neben einer der Fensterhöhlen gesessen hatte, kam zurück. Ihren Arm hatte sie unter den eines jungen Mannes geschoben, der sich nur mit Mühe auf den Beinen zu halten schien. Sein Gesicht unter dem strubbeligen braunen Haar, das sonst gut aussehend sein mochte, glänzte von Schweiß und war von fiebrigen roten Flecken übersät.
Roger unterdrückte einen Fluch. Er erhob sich, zerrte den jungen Mann nicht sonderlich sanft auf die Bank und sagte barsch: »Setzt Euch, ehe Ihr hinfallt und Euch auch noch etwas brecht.«
Der junge Mann stützte sich mit dem rechten Arm auf dem Tisch ab, den linken ließ er steif baumeln. Schwerfällig schüttelte er den Kopf, als ob es ihm selbst im Sitzen große Mühe bereitete, das Gleichgewicht zu bewahren.
»Herr«, begann die junge Frau zögernd. »Ihr habt gesagt, Ihr seid ein Arzt. Mein Gefährte leidet seit ein paar Tagen an einem Fieber, das immer stärker wird, und … Wir haben nicht viel Geld, aber wir werden Euch geben, was Ihr verlangt.«
»Ach, es … es ist nicht so schlimm«, der Musiker lallte ein wenig. Er versuchte, sich aufzurichten, musste sich jedoch sofort wieder auf dem Tisch abstützen. »In ein paar Tagen bin ich wieder gesund.«
»So, glaubt Ihr?« Roger packte den linken Arm, den ihm der Spielmann nach kurzem Widerstreben überließ, und schob den Wollumhang und den Ärmel des Leinenhemdes zurück. Auf der Innenseite des Unterarms befand sich eine etwa fingerlange, eiternde Wunde, von der aus sich ein roter Streifen bis in die Mitte des Oberarms zog.
»Wenn Ihr noch zwei Tage länger mit dieser Wunde zugebracht hättet, ohne dass etwas gegen den Eiter unternommen worden wäre, hättet Ihr es nicht überlebt«, bemerkte er trocken. »Ich muss die Wunde ausbrennen.«
Der junge Spielmann schien kaum zu begreifen, was Roger sagte. Die Augen der Frau weiteten sich.
»Ich an Eurer Stelle wäre vorsichtig, was die Aussagen dieses weit gereisten Wunderdoktors betrifft.« Die Bäuerin war näher gekommen und betrachtete Roger sowie die Wunde skeptisch. »Meines Erachtens könnt Ihr ebenso gut zum Dorfbarbier gehen. Der verbreitet jedenfalls keine Lügengeschichten …«
Roger beachtete die Bäuerin nicht, sondern schaute die junge Frau an und sagte eindringlich: »Gleichgültig woher ich komme und ob ich viel gereist bin oder nicht – von der Heilkunst verstehe ich etwas. Ihr und Euer Gefährte könnt mir vertrauen.«
Die junge Frau zögerte, blickte ihn forschend an. Schließlich nickte sie jedoch. »Ich vertraue Euch.«
»Gut. Wegen des Geldes müsst Ihr Euch nicht sorgen.« Roger erhob sich und wandte sich an die Bäuerin: »Auch wenn Ihr meine Heilkunst nicht sonderlich schätzt, erlaubt Ihr mir, dass ich Euer Herdfeuer anfache, damit ich mein Messer ausglühen kann?«
»Und Ihr«, er drehte sich zu den Männern um, die ihr Würfelspiel unterbrochen hatten und das Geschehen neugierig verfolgten.
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