Die Buchmalerin
war.
»Einige Soldaten eines hohen Herrn, er soll ein Gesandter des Papstes sein, waren hier und haben nach ihr gefragt«, die Bäuerin nickte. »Aber die Frau muss vorher bereits Unheil angerichtet haben. Denn einige Tage, ehe das Unglück in dem Kloster geschah, hat sich schon einmal jemand nach ihr erkundigt. Auch das war ein Fremder. Keiner der Soldaten, obwohl er gesprochen hat wie diese.«
»Wirklich?«, fragte Roger, der plötzlich wieder wach wurde. »Ich bin auf meinem Weg dem Tross des Kardinals einige Male begegnet. Wisst Ihr noch, wie der Mann aussah?«
»Er hatte einen kahlen Kopf, war groß, muskulös und breitschultrig …« Die Bäuerin runzelte nachdenklich die Stirn. »Aber wartet, wenn ich mich recht entsinne … Er sprach nicht von einer Frau, die sich als Knabe verkleidet hat und schreiben kann, sondern nur von einem Knaben. Vielleicht hat er doch nicht nach der Frau gesucht, die die Scheune angezündet hat …«
Roger starrte auf das Messer, in dem sich der Feuerschein fing. Noch ehe er recht begriff, sah er plötzlich den Diener des Kardinals vor sich, wie er am Ufer eines zugefrorenen Baches das Bündel eines Knaben durchwühlte. Léon hatte ein Messer aus dem Bündel genommen, auf dem sich für einen Moment das Licht der Wintersonne gespiegelt hatte. Völlig verängstigt hatte der Knabe zu ihm aufgesehen. Und dann, wenig später, unter den Bäumen, hatte er, Roger, noch einmal in das Gesicht des Jungen geblickt, das völlig panisch gewesen war. Deshalb war ihm also die Frau, der er am Tor des Klosters begegnet war, so bekannt vorgekommen.
»Was ist? Ihr seht aus, als hättet Ihr eben eine Erleuchtung gehabt«, bemerkte die Bäuerin spöttisch.
Vorsichtig schob Roger das Messer in eine Lederhülle, ehe er sich ein Lachen abrang und leichthin sagte: »Ja, ich habe tatsächlich gerade etwas Wichtiges verstanden.«
*
Während der nächsten Tage konnte Donata ihr Lager in dem schmalen Verschlag allmählich verlassen. Bilhildis hatte mit Luitgard, der Vorsteherin, gesprochen, jener Frau mit dem breiten, groben Gesicht und den durchdringenden Augen. Diese hatte erklärt, Donata könne in dem Haus in der Stolkgasse bleiben, bis sie gesund genug sei, um weiterzuziehen oder sich in der Stadt eine Arbeit zu suchen.
Nachdem Donata einige Tage lang in der Küche in der Nähe der Feuerstelle gesessen und Wolle gesponnen hatte, wechselte sie von Zeit zu Zeit in die Webstube. Sie nahm an den Gebeten teil, wobei sie stets darauf achtete, die heiligen Texte sorgfältig mitzusprechen, für den Fall, dass die Frauen sie beobachteten.
Bei den Mahlzeiten hatte sie ihren Platz am Ende der langen Tafel. Jetzt, da ihr Hunger wiederkehrte, musste sie sich stets beherrschen, damit sie nicht zu viel und zu gierig aß. Wenn eine der Frauen sie nach ihrem bisherigen Leben fragte, gab sie sich als umherziehende Weberin aus, deren Gefährte im Herbst an einer Krankheit gestorben sei. Sie antwortete entgegenkommend und gerade so weit, dass sie das Interesse befriedigte, ohne neue Fragen zu provozieren. Sie hoffte, dass die Frauen ihr Schweigen als Trauer deuteten. Während der vergangenen vier Jahre war es Donata in Fleisch und Blut übergegangen, ihre jeweilige Umgebung genau zu beobachten und sich schnell an deren Bedingungen anzupassen. Deshalb fiel es ihr nicht schwer, sich in den Tagesablauf der Beginen einzufügen und sich die Eigenheiten der verschiedenen Frauen einzuprägen.
Ermentraud und Plektrudis, zwei Frauen, die in der Webstube arbeiteten, waren Schwestern und entstammten einer Kölner Kaufmannsfamilie. Beide waren lebhafte, kräftige Frauen, die sich für alles, was in der Stadt vorging, interessierten und gern sangen oder redeten.
Ada, die dritte Weberin, mit einem ruhigen Gemüt, war hingegen die Witwe eines Schreiners. Vor einigen Jahren hatte ein Fieber ihren Mann und ihre beiden Söhne dahingerafft.
Noch eine vierte Frau saß häufig in der Webstube – allerdings nicht an einem der Webstühle, sondern vor einem der mit Ölhaut bespannten Fenster – und bestickte den Stoff eines Messgewandes. Berchta, auch sie eine Witwe und Seidenspinnerin aus der Gegend von Bonn.
Lioba, eine große, derbe Gestalt, die der Küche der Beginen vorstand, war ebenfalls nach dem Tod ihres Mannes, eines freien Bauern, zu den Beginen gekommen. Einmal hörte Donata, wie Luitgard Lioba schalt, weil sie im Garten den alten Göttern ein Opfer dargebracht hatte.
Hildegund und Irmengard, beide sehr jung, Mädchen
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