Die Buchmalerin
Leben. Und auch auf der Erde ist ihre Macht nicht grenzenlos.«
»Du bist gut. Du weißt nicht, was Menschen einander antun können.«
»Doch«, widersprach Bilhildis. »Ich weiß es.« Sie wollte noch etwas sagen. Aber vom Kohlebecken her war ein zischendes Geräusch zu hören – Wasser, das auf die glühenden Kohlen spritzte. Bilhildis wandte sich rasch um und nahm den Topf von der Glut. Nachdem sie ihn einige Male geschwenkt hatte, goss sie das Wasser in das Behältnis, das den Holunderextrakt enthielt, und rührte die Flüssigkeit mit einem Holzstab um. Donata sah ihr stumm zu. Sie war zu erschöpft, um noch weiterzureden.
»Wie lange fliehst du schon vor der Inquisition?«, fragte Bilhildis, als sie ihre Arbeit beendet hatte.
»Seit vier Jahren.«
»Du kannst so nicht weiterleben.«
»Nein«, entgegnete Donata müde. »Aber ich kann nirgends lange bleiben. Früher oder später entdecken die Menschen, dass ich anders bin als sie. Bevor ich das Fieber bekam, wurde ich in einem Kloster an der Mosel beinahe gefasst. Und auch bei euch wundern sich die Frauen über mich und reden. Und heute Abend … Wenn du mir nicht geholfen hättest, hätte ich mich verraten.«
»Trotzdem, du kannst nicht immer weiterziehen«, beharrte Bilhildis. »Wenn du es mir erlaubst, werde ich mit Luitgard sprechen. Vielleicht weiß sie einen Rat.«
Donata zögerte. Konnte sie es wagen, dass außer Bilhildis noch jemand von ihrer Geschichte erfuhr? Der katzengleiche Dämon erschien ihr und flüsterte ihr zu, dass es auch für sie einen Ort geben könne, an dem sie sicher sei.
Als draußen im Schnee rasche Schritte ertönten, zuckte sie zusammen. Plektrudis erschien in der Tür. »Bilhildis, dem Kranken aus der Laurenzpfarrei, den du heute gepflegt hast, geht es wieder schlechter. Sein Fieber steigt. Einer seiner Knechte wartet draußen auf dich …«
Donata erhob sich und hinkte durch den Raum. An der Tür verharrte sie und wandte sich noch einmal zu Bilhildis um, die rasch die Glut abgedeckt hatte und nun Tonfläschchen und Leinentücher auf dem Tisch bereitstellte.
Noch einmal zögerte Donata, ehe sie schließlich sagte: »Du kannst die Vorsteherin fragen.«
*
Am Mittag des folgenden Tages bearbeitete Ortwin, Knecht auf einer Burg in der südlichen Eifel, mit Hacke und Säge die Oberfläche eines kleinen Waldteiches. Wütend fragte er sich, warum sein Herr ausgerechnet jetzt Wert darauf legte, frische Forellen auf dem Tisch zu haben. Es war anstrengend, Stücke aus der gefrorenen Oberfläche des Teichs herauszubrechen, und er wünschte sich, endlich in die Ställe der Burg zurückkehren zu können. Kurz schaute er zu den anderen beiden Knechten hin, die neben ihm arbeiteten. Ob überhaupt Fische anbissen, war sehr zweifelhaft. Und dann lag noch ein langer Heimweg vor ihnen. Nein, er hätte wirklich nichts dagegen gehabt, wenn sein Herr diesen abgelegenen Teich einfach vergessen hätte.
Unwillig schlug Ortwin wieder auf die gefrorene Oberfläche ein. Ein großes Eisstück sprang los. Er bückte sich, um es beiseite zu schieben. Im nächsten Augenblick jedoch stieß er einen gellenden Schrei aus und wich mit angstverzerrtem Gesicht zurück. Aufgeschreckt wandten die anderen Männer sich zu ihm um.
»Ein Dämon, dort unten im Wasser hockt ein Dämon und greift nach mir«, stammelte er. Verstört wagten die beiden Knechte einen raschen Blick nach unten. Dort, wo Ortwin gearbeitet hatte, ragte eine hagere Hand aus dem Eis.
»Ein Dämon. Bei Gott, ein Dämon!« Einer der Knechte lief Ortwin nach, der bereits von dem Teich geflohen war und auf den Wald zustrebte. Auch den anderen Mann grauste es. Doch er hatte schon einmal erlebt, wie eine starr gefrorene Leiche aus einem Eisloch gezogen worden war. Deshalb zog er in Betracht, dass die Hand einem Toten gehören konnte, und sorgte dafür, dass der Burgherr und der Pfarrer verständigt wurden.
*
Am Abend desselben Tages versammelten sich der Priester, der Burgherr, Teile des Gesindes und Leute aus dem nahen Dorf in einer Scheune der Burg. Der Tote, der inzwischen aus dem Eis geborgen worden war, lag auf einem Brett. Trotz des gefrorenen Wassers, das immer noch große Teile seines Körpers umhüllte, war unverkennbar, dass er die Kutte eines Dominikaners trug und sein Unterleib eine klaffende Wunde aufwies. Fackeln brannten zu beiden Seiten des Kopfes. Durch die Wärme der Flammen hatte sich das Eis, das das Gesicht bedeckte, bereits zu lösen begonnen. Unter dem sämigen Brei,
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