Die Buchmalerin
lastendes Schweigen breitete sich um den Tisch aus. Es erschien ihr endlos. Sie wollte aufspringen, war aber unfähig, sich zu rühren. Einige der Frauen, darunter Hildegund, starrten sie an, andere hielten die Köpfe gesenkt. Obwohl Donata völlig aufgewühlt war, bemerkte sie, dass Luitgard sie nachdenklich betrachtete und ihr Gesicht ein Begreifen widerspiegelte.
Hilflos wanderte Donatas Blick zu Bilhildis. Auch diese sah sie an.
Plötzlich schob Bilhildis ihre Schale zurück, lachte leise und sagte: »Lioba, Donata hat Recht. Man kann die Suppe nicht essen. Du solltest frisches Geflügel kaufen und nicht verdorbenes. Eines Tages werden wir uns noch alle an deinem Essen den Magen verderben.«
Hadwig, Berchta und Ermentraud stimmten in das Lachen ein und Plektrudis rief: »Vielleicht sollten wir abwechselnd von Liobas Speisen essen. Dann können die Gesunden unter uns wenigstens noch die Kranken pflegen.«
Das Lachen schwoll an – auch Hildegund lächelte jetzt, wie Donata nicht entging –, Liobas grollende Stimme übertönte es jedoch. »Wenn euch das, was ich koche, nicht schmeckt, übernehmt den Küchendienst selbst und geht auf den Markt und streitet euch mit den Händlern und versucht, mit dem wenigen Geld auszukommen. Meine Familie und mein Gesinde wären froh gewesen, wenn sie unter der Woche Geflügel hätten essen können. Außerdem wurden die Hühner mit Essig abgerieben, ehe ich sie zubereitet habe, und …«
»Lioba«, Luitgard hob begütigend die Hände. »Niemand hat ernsthaft etwas dagegen einzuwenden, wie du die Küche führst.« Sie blickte streng in die Runde und das Lachen der Frauen verstummte. Die Andeutung eines Lächelns erschien um Luitgards Mund. »Bilhildis und Donata täuschen sich. Die Hühner sind nicht verdorben.«
Berchta, die Seidenstickerin, rührte in der Suppe und beäugte misstrauisch ein Stück Huhn. »Ich mag von der Suppe auch nichts mehr essen. Lioba, du hast doch sicher noch ein Stück Speck in der Speisekammer liegen …«
Lioba fuhr auf. »Andere …«
Plektrudis unterbrach sie. »Ja, ich weiß, andere Menschen wären froh, wenn sie zu essen hätten. Du kannst die Suppe ja morgen an die Bettler verteilen. Aber nach dem Gerede über die verdorbenen Hühner mag ich ebenfalls nichts mehr davon. Ach Luitgard, ich bin wirklich hungrig. Erlaube es doch, dass Lioba den Speck herausgibt.«
Die anderen murmelten zustimmend.
Donata bemerkte, dass Luitgards Blick abwartend auf ihr ruhte und Bilhildis sie fragend ansah. Da sie nicht dem albigensischen Glauben anhing, war es ihr möglich, Fleisch zu essen. Sie deutete ein Nicken an. Bilhildis verstand.
»Luitgard, bitte. Mir geht es wie Plektrudis und Berchta«, wandte sich die junge Begine an die Vorsteherin.
Luitgard betrachtete Donata noch einmal prüfend. Dann sagte sie: »Gut. Niemand soll hungrig zu Bett gehen. Wer Speck essen möchte, soll ihn bekommen.«
Als Zeichen dafür, dass der Streit nun zu Ende war, begann Luitgard von der Suppe und dem Huhn zu essen. Ein paar Frauen folgten ihrem Beispiel. Andere warteten, bis Lioba brummig ein Stück Speck auf den Tisch legte, dünne Scheiben davon abschnitt und sie verteilte. Als die Reihe an Donata kam, war sie sich wieder gewiss, dass sie beobachtet wurde. Doch obwohl ihr immer noch übel war, gelang es ihr, das Brot und den Speck zu verzehren.
*
Einige Zeit später stieß Donata die Tür zu dem Schuppen auf, in dem Bilhildis ihre Arzneien zubereitete und sich um Kranke kümmerte. Sie blinzelte gegen die Helligkeit. Bilhildis stand, im Schein eines Talglichts, an einem großen, beinahe quadratischen Tisch. Vor ihr lagen auf dünnen Tüchern Bündel getrockneter Kräuter. Eines hielt sie in den Händen und streifte die kleinen Blätter ab, die in eine Tonschale fielen. Über der Glut eines Kohlebeckens köchelte der Inhalt eines tönernen Topfes vor sich hin. Ihm entstieg ein aromatischer Geruch, der sich mit dem der anderen Kräuter mischte.
»Ich konnte nicht schlafen, und als ich an die Luke getreten bin, habe ich gesehen, dass in dem Schuppen Licht brennt«, sagte Donata zögernd.
»Luitgard sieht es nicht gern, wenn wir nachts arbeiten und Talglichter verbrauchen. Aber ich war schon zu lange nicht mehr hier im Haus. Ich muss meine Kräutervorräte ergänzen und einige Arzneien zubereiten, sonst kann ich die Kranken nicht mehr angemessen versorgen. Mittel gegen Fieber, Husten und Frostbeulen. Das, was die Menschen im Winter am meisten quält. Das dort ist ein
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