Die Buchmalerin
alle dem albigensischen Glauben anhingen, auf eine Burg des Grafen. Einer meiner Vettern war nicht viel älter als ich, die anderen beiden, Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, zwei Jahre jünger. Und während der Belagerung hat meine Tante noch ein Kind geboren. Auch das war ein Knabe.«
Claude, ihr ältester Vetter, war der Erste gewesen, der ihr von Lancelot und Guinevra, Roland und Olivier und von Parzival erzählt hatte. Und der Säugling hatte sie angelächelt und versucht, mit ihren langen Haaren zu spielen.
»Während des Jahres, das wir auf der Burg verbrachten, fiel kaum Regen. Im Sommer versiegte der Brunnen und die Zisternen trockneten aus. Manche Menschen wurden wahnsinnig vor Durst und schnitten sich die Adern auf, um das eigene Blut zu trinken. Andere sahen den fahlen Himmel aufbrechen und die Engel des Letzten Gerichts hervortreten. Schließlich, als sich zeigte, dass innerhalb weniger Tage alle Menschen in der Burg verdursten würden, verhandelte der Befehlshaber mit den Belagerern. Sie sicherten zu, dass die Menschen in der Burg, nachdem sie die Waffen übergeben hatten, abziehen durften.«
Donata stockte kurz, ehe sie hastig weitererzählte, so als wolle sie ihre eigenen Worte nicht hören. »Als die Tore geöffnet wurden, fielen die fremden Soldaten über die Menschen her, die sich im Burghof versammelt hatten. Sie … sie haben meine Tante niedergestochen und mit dem Schwert in den Säugling gehackt, den sie in den Armen hielt, und zwei oder drei von ihnen haben das Kind an den Gliedern gepackt und es sich zugeworfen. Ich … Irgendwie konnte ich dem Gemetzel entkommen. Ich habe mich in einem Mauerloch in der Brunnenstube versteckt.«
Sie schwieg, blickte in die ruhig brennende Flamme des Talglichts. Sie spürte wieder die Kälte der feuchten Steine, zwischen denen sie sich zusammengekauert hatte, hörte die Schreie der sterbenden Menschen und das Gejohle der Soldaten. Bilhildis hatte die Arme um die Knie geschlungen. Ihr Gesicht war blass und ruhig.
Donata hob die Hand in einer hilflosen Gebärde und sah Bilhildis an. »Nach zwei Tagen, ehe die Soldaten Feuer in der Burg legten, haben sie noch einmal jeden Winkel durchsucht. Sie wollten nichts übersehen, was irgendwie von Wert für sie hätte sein können. Sie fanden mich, und da sie müde vom Töten waren, haben sie mich in ihr Lager geschleppt. Die Dame eines der Feldherrn meinte, nun sei es an der Zeit, ein gutes Werk zu tun. Meine Seele müsse gerettet werden. Sie haben mich in ein Benediktinerinnenkloster im Norden des französischen Königreichs gebracht, weit weg vom Land der Ketzer. Sie haben den Nonnen Geld gegeben und sie gebeten, aus dem Ketzerkind eine Rechtgläubige zu machen.«
Ein bitteres Lächeln zog über Donatas schmales Gesicht. »Die Nonnen waren nicht sehr glücklich darüber, einen Ketzerbalg unter sich zu haben. Aber sie haben ihren Auftrag erfüllt. Es zeigte sich, dass ich rasch lernte und eine große Begabung für das Malen hatte, das hat ihnen ihre Pflicht erleichtert. Ich blieb acht Jahre bei den Nonnen.« Sie schwieg und ihre Miene verdüsterte sich wieder. »Dann geschah etwas … Ich musste fliehen. Seitdem gelte ich als rückfällige Ketzerin. Wenn ich der Inquisition in die Hände gerate, komme ich nicht mehr mit dem Schandkreuz und dem Kerker davon. Sie werden mich verbrennen.«
Donata blickte Bilhildis fest in die Augen. »Aber auch wenn das der Inquisition gleichgültig ist – ich hänge dem albigensischen Glauben nicht an. Bei den Nonnen habe ich gelernt … und durch das Malen, dass die Dinge schön sind. Sie sind nicht schlecht, wie die Albigenser predigen. Aber ich kann auch nicht mehr an die Lehren der Nonnen und der Kirche glauben. Ihr Gott ist nicht gut.«
»Doch, das ist er«, erwiderte Bilhildis leise. »Gott ist das Leben und die Fülle. Die Inquisitoren handeln nicht im rechten Glauben.«
»Der Gott der Kirche gibt ihnen die Macht und er lässt sie gewähren.«
»Christus war schwach. Er wurde von den Mächtigen getötet. Aber er hat den Tod überwunden.«
»Die Inquisitoren handeln in seinem Namen. Sie rufen ihn an und bringen doch Leid und Qual über die Leute. In seinem Namen ängstigen sie die Menschen, so lange, bis diese bereit sind, sich der Inquisition bedingungslos zu unterwerfen. Bis sie völlig gebrochen sind und keine Seele mehr haben.« Donata verstummte und starrte vor sich hin.
»Aber sind sie nicht stärker als Gott. Sie triumphieren nicht endgültig. Nicht im ewigen
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