Die Buchmalerin
Extrakt aus Holunderbeeren«, Bilhildis wies auf den Topf, der über den glühenden Kohlen stand. »Er dient dazu, den Körper gegen Krankheiten zu stärken.«
Donata setzte sich auf einen Schemel und sah zu, wie Bilhildis die Blätter, die sie abgerieben hatte, aus der Schale in ein feines Sieb gab und dieses über einer anderen Schale ausschüttelte. Jetzt, als sie genauer hinschaute, erkannte sie, dass das Kraut Thymian war. Sie zog ihren Schal enger um sich und dachte, dass sie Bilhildis einfach um eine Arznei bitten konnte. Die junge Begine würde sie nicht mit Fragen behelligen.
Doch dazu war sie nicht hergekommen. Um sich selbst noch ein wenig Zeit zu geben, sagte Donata: »Thymian … Er hilft bei Erkältungskrankheiten.«
»Du kennst dich mit Heilkräutern aus?«
»Ich habe sie einmal gemalt. Für ein Herbarium …«
Bilhildis schwieg und Donata griff nach einem getrockneten Blatt, das neben das Tuch gefallen war, und betrachtete es. »Es war nicht leicht, den Thymian zu malen«, sagte sie selbstvergessen. »Seine Farben sind schwierig. Auf der Oberfläche hat das frische Blatt über dem Grün einen leicht violetten Schimmer und auf der Unterseite ist das Grün mit einem silbrigen Weiß gemischt.«
Bilhildis lächelte. »Im Fieber hast du immer wieder von Farben gesprochen. Von einem tiefen Blau. Von Gelb, das eine Schattierung von Galle oder Zitrone haben kann oder auch in warmen Tönen strahlt. Ich wusste gar nicht, wie viele Farben es gibt …«
»Über was habe ich sonst noch gesprochen?«, fragte Donata erschrocken.
Bilhildis setzte das Sieb ab und runzelte nachdenklich die Stirn. »Manchmal hast du geschrien, dass Dämonen dich verfolgen, und manchmal hast du von einem Mann geredet. Ein Mann, dessen Gesicht dem einer römischen Statue gleicht. Du hast dich vor ihm gefürchtet.«
Unwillkürlich schauderte Donata. Bilhildis warf ihr einen raschen Blick zu. »Du hast im Fieber nichts gesagt, was dir gefährlich werden kann. Auch den anderen Frauen gegenüber nicht.«
Donata hatte die Empfindung, vor einer reißenden Brandung zu stehen. Noch umspülte das Wasser nur ihre Füße und sie konnte zurückweichen. Ohne nachzudenken, sagte sie: »Ich bin keine Albigenserin.«
»Und wenn, dann wäre es mir gleichgültig«, entgegnete Bilhildis ruhig.
»Dir, ja. Aber den anderen Frauen keineswegs.«
»Luitgard würde sich auch nicht daran stören.«
»Sie hat bemerkt, dass du mir hilfst, und hat nicht versucht, dich daran zu hindern«, gab Donata widerstrebend zu.
»Luitgard hält nichts davon, Menschen als Ketzer zu brandmarken und sie gewaltsam zum rechten Glauben zu bekehren.« Bilhildis stellte das Sieb beiseite, ging zu dem Dreifuß, nahm den Tontopf von dem glimmenden Feuer und trug ihn zum Tisch.
Während Bilhildis dann zu einem Regal an der Rückwand des Raums trat, einen anderen Topf herunternahm, ihn mit Wasser füllte und anschließend auf den Dreifuß setzte, betrachtete Donata den Dampf, der als eine feine Wolke der dicken, schwärzlichen Flüssigkeit entstieg. Sie wagte noch einen weiteren Schritt in die Brandung hinein und ließ es zu, dass die Flut sie mit sich riss.
»Der Schlegel des Huhns«, sagte sie leise. »Ich konnte nichts davon essen, weil … Der Knochen, der aus ihm ragte … er … er erinnerte mich an den abgetrennten Arm eines Säuglings.«
Sie zögerte einen Augenblick, ehe sie weiterredete: »Ich bin bei Albigensern aufgewachsen. Meine Eltern starben an einer Krankheit, als ich wenige Monate alt war. Die Schwester meiner Mutter, die, wie sie, aus dem niederen Adel stammte, hat mich zu sich genommen und mich mit ihren Kindern aufgezogen und wie sie geliebt. Sie war eine warmherzige und freundliche Frau, die das Leben und ihren Mann liebte und immer traurig war, wenn die albigensischen Prediger ins Dorf kamen und sagten, dass der Leib und die Lust schlecht seien. Denn sie wollte eine gute Gläubige sein.«
Donata stützte den Kopf in die Hände und bemühte sich, die Erinnerung an ihre Tante zu vertreiben, die eine rundliche Frau mit meist fröhlichen braunen Augen gewesen war und die immer ein wenig nach frischem Brot gerochen hatte.
»Mein Onkel hat mit dem Grafen von Toulouse gegen die Truppen des französischen Königs und des Papstes gekämpft. Als ich ungefähr acht Jahre alt war, rückten die fremden Truppen immer näher und mein Onkel wurde bei einem Gefecht getötet. Meine Tante floh mit ihren drei Kindern und mir, ebenso wie die übrigen Dorfbewohner, die
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