Die Buchmalerin
den Schmelzwasser und Eisstücke bildeten, zeichnete sich ein hageres Antlitz ab, dessen Augen weit aufgerissen waren.
Der Priester, ein gedrungener Mann in den Vierzigern, der einen klugen Eindruck machte, schaute reglos auf den Toten nieder. Schließlich bekreuzigte er sich, trat zu dem Leichnam und wischte mit den Händen Wasser und Eis von dessen Gesicht. Auch der Burgherr bekreuzigte sich. Sein Blick wanderte zu der Wunde im Unterleib des starren Körpers. »Gott sei der Seele des armen Mönchs gnädig. Wenigstens wird ihm jetzt ein christliches Begräbnis zuteil werden«, sagte er erschüttert.
Noch immer betrachtete der Priester schweigend den Toten und hoffte, dass der Mann nicht der war, für den er ihn hielt. Gleichzeitig wusste er, dass er keiner Täuschung unterlag. Einige Jahre zuvor war er zufällig Zeuge eines Inquisitionsprozesses in der Gegend von Worms gewesen. Er hatte weder die Strenge jemals vergessen, mit welcher der Dominikaner den Prozess geführt, noch den fanatischen Glaubenseifer, der aus seinen Worten und seinem ganzen Gebaren gesprochen hatte. Der Priester wünschte sich, die Knechte hätten die Leiche nie gefunden. Der Tote hatte Leid über unzählige Menschen gebracht und die Untersuchung, die der Mord an ihm nach sich ziehen würde, würde neues Leid hervorrufen.
Die Stimme des Burgherrn schreckte ihn aus seinen Gedanken. »Kommt, lasst uns dafür sorgen, dass der Tote in die Kirche gebracht und aufgebahrt wird. Danach werde ich Boten in die umliegenden Dörfer schicken. Vielleicht weiß jemand etwas über ihn.«
Schwerfällig schüttelte der Priester den Kopf. »Lasst den Leichnam wieder in Eis packen. Denn wir können den Mord nicht untersuchen«, erwiderte er beklommen. »Der Tote ist Gisbert, der Inquisitor, der vor einigen Wochen das letzte Mal in dieser Gegend gesehen wurde und dann plötzlich verschwand. Menschen, die mächtiger sind als wir, müssen sich mit dieser Sache befassen. Ein Legat des Papstes soll nach Köln unterwegs sein. Zu ihm müssen wir den Ermordeten bringen.«
L uitgard hob den Kopf und sah einem Schwarm Möwen nach, der vom Rhein her über den sonnigen Himmel schoss und sich mit lautem Kreischen auf einem Dachgiebel an der Schmalseite des Heumarktes niederließ. Die Aussicht auf Beute lockte die gefräßigen Vögel zu dem großen Platz in Flussnähe. Schließlich würde von so manchem Stand der Fischer, der Kappesbauern oder der Bäcker etwas für sie abfallen. Lächelnd wandte Luitgard sich an ihren Onkel Karl Herkenrath, den Vorsteher der Deckenweberzunft. Auf dem Rückweg von der Severinspfarrei, wo sie Nachtwache bei einem Kranken gehalten hatte, zur Stolkgasse, war sie ihm zufällig begegnet. Der Tag war kalt, dennoch erschien er ihr ein wenig wärmer als die vorherigen.
»Seltsam, aber wenn eine Ahnung von Frühling in der Luft liegt, kommt es mir immer vor, als ob die Möwen lauter schrien als sonst.«
Karl Herkenrath, ein großer, hagerer Mann mit eisgrauen Haaren, dessen grobknochiges Gesicht dem Luitgards ähnelte und der sich trotz seines Alters sehr gerade hielt, fasste sie am Arm und zog sie zur Seite. Sonst nämlich wäre seine Nichte mit einigen Leuten zusammengestoßen, die sich ihnen zwischen den Ständen der Bäcker, wo frisches Brot, Pasteten und Kuchen feilgeboten wurden, entgegendrängten. Einige der Marktbesucher grüßten Karl Herkenrath ehrerbietig. Zurückhaltend und höflich erwiderte er die Grüße, ehe er sich wieder Luitgard zuwandte.
»Frühling … Ich weiß nicht, wie du von Frühling reden kannst. Der Winter ist längst nicht vorüber, und wenn die Kälte noch länger andauert, wird der Rhein bald Eisgang haben und nicht mehr befahrbar sein.«
Luitgard lachte. »Onkel, es ist Anfang Februar. Das Licht nimmt zu und …«
»Wir hatten schon Winter, in denen die Kälte bis über Ostern hinaus anhielt«, entgegnete Karl Herkenrath unwirsch. »Glaub mir, in diesem Jahr wird es nicht anders sein.«
Luitgard, die ihren Onkel so schlecht gelaunt nicht kannte, sah ihn erstaunt an. »Bedrückt dich etwas?«
Sie hatten mittlerweile die Gasse der Bäcker verlassen und den Teil des Marktes erreicht, wo die Stände der Beutelschneider, der Weber und Seidenmacher begannen. Karl Herkenrath trat zu einem Stand, wo gewalktes Tuch angeboten wurde, fasste in einen Ballen grauen Stoffs und prüfte ihn zwischen den Fingern. Der Weber, dem der Stand gehörte und der den Zunftvorsteher erkannte, kam eilig auf ihn zu.
Doch der alte Mann
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