Die Buchmalerin
einem Inquisitor vom Schlage Gisberts in die Hände gefallen wäre, wahrscheinlich auf einem Scheiterhaufen geendet, überlegte sie grimmig. Nun, vielleicht hätte Franz auch seinerseits Gisbert bekehren können. Immerhin wurde von ihm gesagt, dass er einen hungrigen Wolf dazu hatte bewegen können, sich ihm zu Füßen zu legen. Aber wahrscheinlicher war, dass er mutig den Scheiterhaufen bestiegen hätte.
Mit ihren knotigen Händen, deren Haut fleckig vom Alter war, faltete die Äbtissin das Pergament zusammen. Allmählich wich die Angst wieder. Sie war keine Heilige. Sie würde kämpfen. Wenn Gisbert es wagen sollte, sie der Ketzerei zu beschuldigen, würde sie ihre Nonnen und auch sich selbst mit aller Macht zu verteidigen wissen. Notfalls würde sie sich an das Reichsgericht wenden. Außerdem hatte ihr Großneffe geschrieben, dass der päpstliche Legat nicht nur den Lebenswandel des Kölner Erzbischofs prüfen, sondern auch mäßigend auf Gisbert einwirken sollte. Denn dass der Inquisitor im vorigen Jahr nicht einmal davor zurückgeschreckt war, einen Reichsgrafen der Ketzerei anzuklagen, hatte für beträchtlichen Unmut bei den Fürsten gesorgt. Angesichts seines Streits mit dem Kaiser konnte es sich der Papst nicht mit allen Mächtigen im Königreich verderben.
Wahrhaftig, auch wenn das Evangelium etwas anderes lehrt, dachte die Äbtissin – es ist von Vorteil, Macht zu besitzen und sich wehren zu können. Luitgard und die anderen Beginen befanden sich in weit größerer Gefahr als sie. Bei weitem nicht alle Priester und Prälaten hießen die Frömmigkeit der Beginen gut. Erst im vorletzten Jahr hatte ein Konzil in Mainz den Frauen Einschränkungen auferlegt. Die Äbtissin selbst schätzte den Versuch der Beginen, ein Leben außerhalb der herkömmlichen Formen von Ehe und Orden zu wagen. Und sie hatte sich darüber gefreut, dass sich Luitgard, ihre Schülerin, nachdem sie Witwe geworden war, für diesen Weg entschieden hatte.
Aber gerade die Tatsache, dass die Frauen außerhalb der alten Ordnung standen, machte sie leicht verwundbar. Über das, was in der Stadt geschah, war die Äbtissin gut unterrichtet. Sie wusste, dass die Weber, Seidenmacher und die Seidenstickerinnen murrten, die Beginen verkauften ihre Waren zu billig. Üble Gerüchte über Bilhildis liefen um. Und kürzlich hatte sich ein Priester der Andreaspfarrei darüber beklagt, eine Begine habe ihn verführen wollen. Ein rasches Lächeln zog über das faltige, scharf geschnittene Gesicht der Äbtissin. Der alte, geile, hässliche Bock! Hoffentlich hatte ihm die Frau, die er betatscht hatte, einen Denkzettel verpasst.
Aber manchmal genügte ein Funken, um einen Strohhaufen in Brand zu setzen, und der Inquisitor Gisbert war kein Funke, sondern eine hell lodernde Fackel.
Eine Glocke ertönte und rief zum Mittagsgebet. Die Äbtissin erhob sich, wobei sie sich an der Tischkante abstützte und ihr Alter verwünschte, das sie gebrechlich werden ließ. Mit ganzem Herzen hoffte sie, dass Luitgard die Warnung beachten würde, die sie ihr schickte. Denn dass sich ein päpstlicher Legat für eine Gruppe unbedeutender Frauen einsetzen würde, war wenig wahrscheinlich.
*
Nachdem Ida Sterzin mit dem Gesinde und ihren Töchtern in das Fachwerkhaus nahe der Kirche Sankt Georg zurückgekehrt war, teilte sie allen eine Arbeit zu. Anschließend ging sie in die Räume der Deckenweberei. Seitdem sich ihr Mann Conrad auf Reisen befand, trug sie für diese die Verantwortung. Sie überprüfte, ob der Meister, die Gesellen und Lehrlinge mit ihren Webstücken gut vorangekommen waren und das feine, feste Tuch keine Fehler aufwies. Danach maß sie in der Küche die Gewürze ab, die die Köchin für die Abendmahlzeit – eine Suppe aus Lauch und Rüben – gebrauchen durfte.
Erst nachdem das erledigt war, gestattete sich die Seidenstickerin einige Momente der Ruhe. Sie zog sich in die Kammer hinter der Weberei zurück, wo sie in Abwesenheit ihres Mannes die Bücher führte. Als sie sich auf der Bank vor dem alten, schweren Tisch niederließ, konnte Ida Sterzin es nicht länger verhindern, dass ihr die Beine und die Hände zitterten. Ein stechender Schmerz erfüllte ihren Unterleib. Sie presste ihre Hände dagegen und bemühte sich, tief und langsam zu atmen. Allmählich ließ der Schmerz nach und ohnmächtiger Zorn und Bitterkeit stiegen in ihr auf.
Mit heißen, tränenlosen Augen starrte sie auf das in Leder gebundene Rechnungsbuch und die Feder, die auf dem Tisch
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