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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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mehr er von der Welt gesehen hatte als ihr Sohn, obwohl die beiden nur wenige Jahre trennten.
    »Wollt Ihr gar nicht wissen, was anderswo mit den Beginen geschah?«, fragte der Schreiber ruhig und blickte der Seidenstickerin herausfordernd in die Augen.
    »Sagt es, wenn Ihr unbedingt wollt, aber beeilt Euch. Ich habe Wichtigeres zu tun, als Zeit mit Euch zu verschwenden.« Doch gegen ihren Willen war sie interessiert.
    »Ja, Veit, erzähle!«, warf Jörg Sterzin aufgeregt ein.
    »In meinem Handwerk komme ich viel herum«, sagte der Schreiber weich. »Ich sehe viele Städte, übernachte in vielen Häusern, rede mit dem oder jenem, höre dem einen oder anderen Gespräch zu. Und, Ihr könnt mir glauben, ich erhalte auch Zutritt zu den Hochgeborenen, denn ich bin bekannt dafür, dass ich mein Handwerk gut ausübe.«
    Ida Sterzin war versucht zu fragen, warum er dann sein Handwerk auf dem Markt feilbot. Doch stattdessen meinte sie nur schroff: »Was wisst Ihr über die Beginen?«
    »Nun, im Hennegau haben sie, so habe ich gehört, eine Begine der Ketzerei angeklagt und verbrannt, weil sie öffentlich zu Unkeuschheit und Unmoral aufrief. Sie soll behauptet haben, die Seele, die in Gott ruhe, müsse sich nicht mehr an die von der Kirche verkündeten Tugenden halten. Denn diese Seele sei völlig frei. Also auch von den Geboten der Kirche.« Der Schreiber lächelte gewinnend. »Freie Seelen … Ihr könnt mir glauben, dass die kirchlichen Herren Derartiges nicht gern hören.«
    Die Worte »der Ketzerei angeklagt und verbrannt« hallten in Ida Sterzins Kopf nach. Die Begine Bilhildis behauptete, Gott zu schauen. Mit trockenem Mund fragte sie: »Was geschah anderswo?«
    »An anderen Orten war man milder. In Straßburg und in Basel hat man die Beginen auf Betreiben der Geistlichkeit nur vertrieben. Sie sollen sich erdreistet haben, über das Geheimnis der Trinität zu predigen. Über ein Geheimnis, das zu ergründen der heilige Bernhard außerhalb jeder Möglichkeit des menschlichen Geistes sah.« Der Schreiber stieß ein leises Lachen aus. Es erinnerte die Seidenstickerin an den Ton einer geborstenen Glocke.
    »Der Erzbischof geht nicht gegen Ketzer vor und erst recht nicht gegen die Beginen. Er hat genug Ärger mit den Bürgern der Stadt am Hals«, redete die Seidenstickerin dagegen. »Er will die Leute nicht noch mehr gegen sich aufbringen, indem er etwas gegen die Beginen unternimmt. Einige von ihnen stammen aus einflussreichen Familien.«
    »Aber aus den Geschlechtern, die der Richerzeche und dem Schöffenkollegium angehören, dem Stadtpatriziat, stammt keine der Beginen«, warf Jörg ein und sprach damit einen Gedanken aus, der auch Ida Sterzin gekommen war.
    Der Schreiber blickte von der Mutter zum Sohn. »Der Erzbischof der Stadt geht vielleicht nicht gegen Ketzer vor. Aber in Kürze wird ein Legat des Papstes in Köln eintreffen. Ich denke, dass er anders mit denen verfährt, die vom Glauben abgefallen sind.«
    Ida Sterzin musterte den Schreiber und sagte schließlich: »Gut, Ihr könnt den Brief für meinen Sohn schreiben und Ihr könnt für einige Tage hier im Haus bleiben.«
    An dem raschen Lächeln, das über das Gesicht des Rothaarigen glitt, erkannte die Seidenstickerin, dass er das erreicht hatte, was er wollte.

    *

    Mit Beginn der Abenddämmerung gingen Veit, der Schreiber, und Jörg Sterzin eine schmale Gasse entlang. Die beiden jungen Männer wichen einigen mit Schmutz und Unrat übersäten Schneehaufen aus, die am Fundament der niedrigen Fachwerkhäuser emporwuchsen. Jenseits der Dächer zeichneten sich die wuchtigen Mauern des Doms vor dem sich eindunkelnden Himmel ab. Jörg Sterzin bewegte sich ungeschickt und wäre über eine Unebenheit gestürzt, wenn ihn der Schreiber nicht am Arm gepackt und hochgerissen hätte. Veit bedachte ihn mit einem gereizten Seitenblick. Nein, viel Bier vertrug der junge Sterzin nicht.
    »Wir Sterzins werden es den Herkenraths zeigen«, stieß der junge Handwerkersohn hervor. Er ballte die Rechte zur Faust und fuchtelte damit in der Luft herum. Eine Frau, die ihnen entgegenkam und einen Schlitten voller Brennholz hinter sich herzog, wich ihnen erschrocken aus.
    Veit sparte es sich, etwas zu dem Ausbruch zu sagen. Er und der junge Sterzin kamen von einer Braustube. Dort hatten sie sich mit Gernot und Wulf getroffen. Das Bier, das Jörg Sterzin dort getrunken hat, hat seinem Zorn und seinem Mut beträchtlich Auftrieb gegeben, dachte der Rothaarige spöttisch.
    Veit achtete nicht

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