Die Buchmalerin
Gesicht war unschön, aber seine wasserblauen Augen hatten einen gütigen, kindlichen Ausdruck.
Enzio neigte seinen Kopf Heinrich von Müllenark zu und fragte ihn leise etwas. Nachdem ihm der Erzbischof flüsternd eine Antwort gegeben hatte, wandte der Kardinal sich an den Dominikaner. »Ihr seid der Beichtvater der Begine?«
Der Mönch bejahte.
»Und Ihr habt niemals Euren Bischof über die Aussagen und angeblichen Visionen dieser Begine in Kenntnis gesetzt?«
»Nein, das habe ich nicht«, entgegnete der Mönch hilflos. »Meine Brüder und ich wollten uns erst selbst ein Urteil bilden, ehe wir den Bischof behelligten.«
Roger blickte von dem Mönch, der alt und müde neben der Tafel stand und mit geröteten Augen gegen das Licht anblinzelte, zu Heinrich von Müllenark. Über das aufgeschwemmte Gesicht des Erzbischofs zuckte ein Ausdruck von Verlegenheit. Dieser Erzbischof war sicher kein Hirte, der sich wirklich gut um die Seelen der ihm anvertrauten Herde kümmerte. Und auch kein Hirte, den man in Glaubensnöten um Rat fragte. Was der Dominikaner aber jetzt natürlich nicht gegen ihn vorbringen konnte.
»Es war nicht recht, dass Ihr Euch in dieser Sache nicht an Euren Bischof gewandt habt«, entgegnete Enzio sanft und spielte mit einem goldenen Ring, den er an einem Finger trug. »Immerhin war der heilige Bernhard von Clairvaux der Ansicht, dass das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit das Fassungsvermögen des menschlichen Geistes übersteige und deshalb unergründlich sei. Und genau das stellt diese Begine – wenn ich Euch recht verstehe – in Zweifel.«
Der Dominikanermönch suchte nach Worten. Ehe er antworten konnte, ertönte eine klare, ein wenig spröde Frauenstimme, die Roger an das Geräusch von trockenen Blättern erinnerte, die im Wind rascheln. »Bei all seiner unzweifelhaften Heiligkeit … Bernhard von Clairvaux war ein Mensch. Und wir Menschen können irren. Oder wollt Ihr sagen, dass sich Gott in Seinen Offenbarungen an das hält, was unser armer menschlicher Geist über Ihn denkt? Stellt Ihr Euch Gott so klein vor?«
Die Äbtissin betrachtete den Kardinal gelassen. Ihre gichtigen Hände ruhten vor ihr auf dem Tisch. Ein Aufseufzen ging durch den großen Saal und erfasste auch einige der Vornehmen auf dem Podium. Enzio bedachte die Nonne mit einem langen abwägenden Blick, ehe er leicht den Kopf neigte und mit einem Lächeln antwortete: »Gottes Wirken übersteigt unsere Vorstellungskraft. Aber, Äbtissin, Ihr werdet mir doch sicher darin zustimmen, dass einem Glaubenslehrer wie dem heiligen Bernhard mehr Überzeugungskraft zukommt als einer unbekannten Frau?«
»Gewiss stimme ich Euch zu«, entgegnete sie ruhig. »Ich wollte nur darauf hinweisen, dass nichts vorschnell als Ketzerei gedeutet werden sollte, sondern dass manche Dinge einer genauen Prüfung bedürfen.«
»Darauf sind wir bedacht«, erwiderte Enzio. Er wandte sich wieder an die Seidenstickerin, die nach wie vor auf dem Steinboden vor dem Podium kniete. »Du siehst, die Äbtissin ist von der Wichtigkeit dessen, was du bisher gegen die Beginen vorzubringen hattest, nicht recht überzeugt. Was hast du noch zu sagen?«
Der Rücken der Frau straffte sich ein wenig. »Die Begine Bilhildis erklärt außerdem, die Seele, die in Gott ruhe, müsse sich nicht mehr an die Tugenden halten, die die Kirche lehrt. Denn die Seele, die in Gott ruhe, sei völlig frei. Also auch von den Geboten der Kirche.«
Wieder durchwehte ein Aufseufzen den weitläufigen Raum. In der Stille, die sich anschließend ausbreitete, war nur das leise Flackern der Kerzen und Fackeln zu hören und, wie von weit her, Stimmen und das Klappern von Geschirr, das vom Küchentrakt herüberdrang. Roger empfand ein flüchtiges Mitleid mit den fremden Frauen, über die das Netz der Anschuldigung fiel und die früher oder später darin verstrickt sein würden. Eine derartige Anklage hätte die Inquisition an jedem Ort zu handeln veranlasst. Und auch wenn Enzio die Gebote der Kirche völlig gleichgültig waren und er – vermutete Roger – bei der ganzen Sache seinen Spaß hatte, als päpstlicher Legat musste er eingreifen. Noch dazu, da er damit beauftragt war, die Prozesse des Inquisitors Gisbert zu beaufsichtigen. Was mit den Frauen in der Stolkgasse geschah, würde von Enzios Launen abhängen und auch davon, welchen Nutzen oder Schaden er sich von einer Verurteilung oder einem Freispruch erhoffte.
»Stimmt das, was diese Frau vorgebracht hat?« Der Kardinal
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