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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Schreibpulte mit niedrigen Schemeln davor. Langsam durchschritt sie den Raum. Auf einem Tisch an seinem Ende lag ein Stapel unbearbeiteter Pergamentseiten neben einem anderen, bereits linierter. Auf einer Pergamentseite waren die Linien nur etwa bis zur Hälfte gezogen. Ein Lineal markierte die Stelle, wo die Glocke zur Vesper gerufen und die Nonne die Arbeit aus der Hand gelegt hatte.
    Auf einem anderen Tisch befanden sich aufgeraute Glasund glatte Steinplatten, außerdem Stößel, mit denen die Farben zerrieben und zusammen mit den Bindemitteln malfähig gemacht wurden. Auch in diesem Fall hatte die Glocke die Arbeit unterbrochen und so verhindert, dass die Nonnen die Platten hatten säubern können. Im Licht der Flamme wirkten die Farbreste allesamt dunkel. Doch Donata wusste, sie brauchte die Farben nur zu verdünnen, einen Pinsel hineinzutauchen und ihn über eine Buchseite zu führen, dann würden die Farben die Leuchtkraft, die in ihnen wohnte, entfalten.
    Sie befestigte das Talglicht in einem Halter neben dem Tisch. Behutsam berührte sie eine der Steinplatten, zerrieb die Farbe zwischen ihren Fingern. Sie waren nun mit der blaustichigen Farbe des Malachits überzogen. Rasch und doch vorsichtig nahm Donata Glasfläschchen und -schälchen, die auf einem Bord ihren Platz hatten, in die Hand, hielt sie gegen das Licht und öffnete Ledersäckchen, in denen kostbare Steine aufbewahrt wurden, die darauf harrten, zur Farbe zerrieben zu werden.
    Schwefelgelb, die Farbe des Zorns. Ocker, die Erdfarbe: Farbe der Wärme, welche die Kraft der Sonne in sich barg. Malachit und Grünspan, Lauch- und Schwertliliensaft bildeten das Grün, in dem Leben und Hoffnung spross. Karmin, aus der Kermeslaus gewonnen, war die Farbe der Lebenskraft und Leidenschaft; das Blau von Waid und Indigo dagegen die Farben des Himmels und des Wassers und, in nur sehr geringer Verdünnung aufgetragen, die Farbe der Dunkelheit. Außerdem Untergrund und Dienerin für die Königin der Farben, für das Ultramarin.
    Ultramarin – das Blau ›von jenseits des Meeres‹, aus dem Lapislazuli gewonnen. Donata nahm den Halbedelstein in die Hand. Als der Schein der Flamme auf ihn fiel, begann seine Leuchtkraft zu erwachen. Ultramarin, die Farbe des Mantels der Gottesmutter, die Farbe der Heilkraft und der Unendlichkeit. Die Farbe eines anderen Himmels und eines anderen Lebens …
    Donata hob das Talglicht aus dem Leuchter und behielt, ohne dass sie sich darüber im Klaren war, den Lapislazuli weiter in der Hand. Langsam ging sie von Schreibpult zu Schreibpult und betrachtete die bemalten Pergamentseiten, die auf ihnen lagen. Die Illustrationen waren teils mehr, teils weniger weit vorangeschritten. Bei einem der Pergamente war in der linken oberen Ecke der Raum für eine Initiale ausgespart: Eine in dünnen Strichen ausgeführte Zeichnung des Buchstabens M, die darauf wartete, mit Farben versehen zu werden. An den Längsbalken des Buchstabens lehnte je ein Engel, der eine Lilie in der Hand hielt. Der Faltenwurf der Engelgewänder war deutlich akzentuiert. Die Nonnen von Maria im Kapitol schienen in der ›rheinisch‹ genannten Malweise ausgebildet zu sein.
    Ein leichter Überdruss stieg in Donata auf. Sie mochte diese Malweise nicht, sie war ihr zu schwer, zu unbewegt. Auf dem der Tür am nächsten gelegenen Pult lag ein Pergament, das ihre Vermutung bestätigte. Ein Vorsatzblatt für den Psalter: König David, der auf einem Thron saß und Harfe spielte. Der Faltenwurf seines Gewandes war ebenso deutlich umrissen wie jener der Engelgewänder. Täuschte sie sich oder wies die grüne Farbe, die sein Gewand füllte, wirklich feine Risse auf?
    Donata legte den Lapislazuli auf dem Pult ab, beugte sich vor und näherte das Talglicht vorsichtig dem Pergament. Tatsächlich … Die Farbe war rissig und außerdem war die Aufhellung an der Vorderseite des Faltenwurfs unsauber ausgeführt. Unmut, der sie immer erfüllt hatte, wenn jemand im Skriptorium schlampig gearbeitet hatte, stieg in ihr auf. Zornig starrte sie auf das Blatt.
    Falls Schritte draußen auf dem Steinboden des Ganges zu hören gewesen waren, hatte Donata sie nicht vernommen. Sie schreckte erst auf, als die Tür des Skriptoriums geöffnet wurde. Hastig drehte sie sich um, hoffte einen Moment lang – obwohl sie wusste, dass es sich nicht so verhielt –, dass der Wind die Tür aufgestoßen habe. Zwei Benediktinerinnen betraten den Raum. Sie trugen Mäntel über ihrem Habit, in denen der Geruch von

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