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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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zu diesen Anschuldigungen befragt werden. Heinrich von Müllenark, Ihr seid bestimmt einer Meinung mit mir, dass es ratsam ist, schon während dieser Nacht Soldaten zum Haus der Beginen zu schicken. Nicht dass die Frauen eine Warnung erhalten und versuchen, sich der Befragung zu entziehen.«
    »Tut, was Ihr für angemessen haltet«, entgegnete der Erzbischof.
    »Dann werde ich einige meiner Soldaten zu dem Haus der Beginen schicken.« Der Kardinal bedeutete der Seidenstickerin, sich zu erheben, und musterte erneut die Gäste des Mahls.
    Die beiden Bürgermeister und auch viele andere im Saal sind mit dem Beschluss des Kardinals einverstanden, ging es Roger durch den Kopf.
    Obwohl Enzios Stimme weiterhin freundlich klang, war sein Gesicht hart, als er nun sagte: »Die Seidenstickerin hat, wie es ihrer Pflicht als Kind der Kirche entspricht, mögliche Ketzereien angezeigt. Falls die Untersuchung gegen die Beginen weitere Ketzereien zu Tage bringt, wird das Inquisitionsgericht dem nachgehen, ohne dass es auf Stand oder Person Rücksicht nimmt.«
    Sein Blick blieb auf der Äbtissin ruhen. Die alte Frau richtete sich würdevoll auf. Der Schein einer Kerzenflamme spiegelte sich in dem goldenen Ring, den sie an einem Finger der rechten Hand trug, und brachte ihn zum Leuchten. Ein Lächeln huschte über ihr vogelgleiches Gesicht und sie neigte leicht den Kopf.
    Sie hat die Herausforderung angenommen, dachte Roger. Er glaubte nicht, dass die Äbtissin und der Kardinal sich gegenseitig unterschätzten.

    *

    Léon betrat die Werkstatt der Seidenstickerin und tastete sich durch die Dunkelheit. Schließlich kniete er auf dem Bretterboden nieder und zog ein fest verschlossenes Tongefäß aus seiner Manteltasche. Behände löste er die Stricke, die es zusammenhielten, und blies in die Glut im Innern des Gefäßes, bis aus den glimmenden Kohlen eine kleine Flamme emporwuchs. In der schwachen Helligkeit, die sie ausstrahlte, sah er sich schnell in dem niedrigen Raum um. Als er sich vergewissert hatte, dass die Fensterhöhlen der Werkstatt mit Sackleinwand bedeckt waren und kein Licht nach draußen dringen konnte, legte er ein ölgetränktes Tuch auf den Boden.
    Er überlegte rasch, ging dann zu einem der Körbe, in denen Seidengarnstränge einen matten Glanz verbreiteten, griff sich einige von ihnen und warf sie neben den Lappen. Nachdem er noch einen der Stickrahmen, von dem ein Stück Stoff herabhing, an den Haufen in der Mitte des Raums gerückt hatte, zog er eine Schnur aus der Manteltasche. Er befestigte das eine Ende an dem öligen Lappen und führte sie von dort aus quer durch die Werkstatt.
    Als er sich nahe der Tür befand, hielt er das andere Ende der Schnur an die Glut. Er wartete, bis sich das Glimmen in der Schnur festgesetzt hatte und zu einer kleinen Flamme aufgelodert war, ehe er sie auf den Bretterboden gleiten ließ. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Flamme nicht verlöschen würde, verließ er die Werkstatt.

    *

    Donata bewegte sich unruhig auf der schmalen Bank in der Küche. Sie konnte nicht schlafen. Der katzengleiche Dämon schlich wieder um sie. Er flüsterte ihr zu, dass sie in das Skriptorium gehen, die Buchmalereien betrachten und die Farben anschauen solle. Das Kloster sei ruhig. Niemand werde sie während der Nacht dort entdecken. Sie redete dagegen, führte das letzte Mal an, als sie ein Skriptorium betreten und sie dies ins Unglück gestürzt hatte. Doch schließlich konnte sie dem Dämon nicht länger widerstehen. Sie stand von der Bank auf, zog die Wolldecke um ihre Schultern und tappte durch den dunklen, kalten Raum bis zu dem Sims neben dem Herd, wo sie Talglichter ertastete.
    Nachdem Donata eines der Lichter an der Glut in der Feuerstelle entzündet hatte, verließ sie die Küche und lief, wobei sie die Flamme mit der Hand schützte, durch die steinerne Halle, die Treppe hinauf und schließlich den Arkadengang entlang. Vor der Tür, hinter der sich, wie ihr die Nonne mitgeteilt hatte, das Skriptorium befand, blieb sie stehen und zögerte. Doch aus den Schatten, die die Flamme des Talglichts warf, erwuchs wieder der katzengleiche Dämon. Er winkte ihr zu, die Tür zu öffnen. Da sie keine Kraft mehr hatte, gegen ihn anzukämpfen, gehorchte sie.
    Das Skriptorium glich in fast allem dem, in dem sie einmal gearbeitet hatte. Neben rundbogigen Fenstern – nur waren diese hier verglast und Donata dachte voller Neid, wie hell der Raum bei Tag sein musste – standen ein halbes Dutzend

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