Die Buchmalerin
richtete das Wort an den Dominikaner, der unglücklich alles mit angehört hatte. »Stimmt es, dass die Begine mit Namen Bilhildis Lehren verbreitet wie die, die Seele, die in Gott ruhe, sei völlig frei und müsse sich deshalb nicht an die Gebote der Kirche halten?«
Der Mönch ließ seinen kurzsichtigen Blick durch den Saal schweifen, als versuchte er, in den Gesichtern der Anwesenden zu lesen und um Verständnis zu bitten. »Bilhildis hat diese Ansicht nicht offen in der Stadt vertreten. Sie hatte niemals die Absicht, die Menschen gegen die Kirche aufzuwiegeln. Sie hat diese Meinung mir und einigen anderen Priestern meines Ordens dargelegt und war selbst erschrocken und im Zweifel wegen der Kühnheit dessen, was sie sagte. Gleichzeitig war sie jedoch auch davon überzeugt, dass Gott ihr diese Worte eingegeben habe.«
Enzio erhob die Stimme. »Also bleibt es dabei? Die Begine namens Bilhildis hat behauptet, die Seele, die in Gott ruhe, sei völlig frei?«
»Ja, das hat sie«, bestätigte der Mönch leise.
Wieder griff die Äbtissin ein. »Hat unser Herr sich denn an die Gebote gehalten?«, fragte sie scharf. »Hat er nicht den Sabbat um der Menschen willen gebrochen? Um ihnen Heilung zu bringen? Und hat er nicht die Händler aus dem Tempel vertrieben?«
Der Kardinal drehte sich zu der alten Frau um, die ihn herausfordernd und stolz ansah. Seine Miene war immer noch liebenswürdig. Aber in seiner Stimme schwang eine unterschwellige Drohung mit. »Wollt Ihr das Volk, das unseren Herrn ans Kreuz geschlagen hat, etwa mit der Kirche vergleichen?«
»Ich will damit sagen, dass Gott uns die Gebote gegeben hat. Also besitzt Er auch die Freiheit, sie wieder von uns zu nehmen.«
Enzio lächelte ein wenig. »Verzeiht mir, wenn ich mich irre. Aber ist es möglich, dass Ihr es mit den Lehren und Geboten der Kirche selbst nicht allzu genau nehmt? Dass Ihr deshalb Sympathien für die Ansichten der Begine Bilhildis hegt? Vielleicht habe ich das, was mir zugetragen wurde, nicht richtig verstanden. Aber ich glaube, mir wurde gesagt, dass Ihr, wenn Ihr dann und wann vor Euren Nonnen über Gott predigt, von unserem Herrn und Schöpfer gelegentlich in weiblicher Gestalt redet. Was nun wahrhaftig im Widerspruch zu den Lehren der Kirche steht …«
»Ich bin damit den Lehren der Äbtissin Hildegard gefolgt«, entgegnete die alte Frau kühl. »In ihren Visionen hat sie Gottes Geist bisweilen in weiblicher Gestalt geschaut und in dieser Gestalt ist er auch in manchen Malereien zu ihren Schriften abgebildet. Außerdem hat sie den göttlichen Geist gelegentlich mit lateinischen weiblichen Worten bezeichnet. Wollt Ihr etwa behaupten, dass die Äbtissin Hildegard nicht im Einklang mit der Kirche gelehrt hat? Auch der heilige Bernhard, den Ihr vorhin angeführt habt, hat ihre Visionen für wahr erachtet.«
»Aber Äbtissin«, Heinrich von Müllenark, dessen rundes Gesicht großes Unbehagen zeigte, vollführte eine vermittelnde Geste zwischen ihr und dem Kardinal. »Niemand ist der Ansicht, dass Ihr oder die Äbtissin Hildegard nicht im Einklang mit der Lehre der Kirche steht.«
»Verzeiht, vielleicht kenne ich mich in den Belangen des Deutschen Reiches nicht so gut aus«, Enzio schenkte erst dem Erzbischof, dann der Äbtissin ein Lächeln. »Aber wurde die Benediktinerin Hildegard nicht gegen Ende ihres Lebens mit dem Kirchenbann belegt?«
»Der Bann hatte nichts mit ihren Lehren zu tun. Außerdem wurde er vor ihrem Tod wieder aufgehoben. Als Hildegard starb, sah das Volk ein mondförmiges Licht am Himmel, das sich zu einem Kreuz wandelte und die Finsternis vertrieb.«
»Oh, die Visionen, die das unwissende Volk hat …« Enzio blickte versonnen und, wie es Roger schien, ein wenig amüsiert in den Saal, wo die Menschen dem Streit zwischen ihm und der Äbtissin schweigend folgten. »Aber gewiss, jetzt erinnere ich mich, der Kirchenbann gegen Hildegard wurde aufgehoben.«
Der Kardinal besann sich und wies mit einer liebenswürdigen Handbewegung auf Heinrich von Müllenark. »Ihr entschuldigt, der Disput zwischen der Äbtissin und mir hat auf einen Umweg geführt und uns von den Anschuldigungen abgelenkt, die gegen die Beginen in der Stolkgasse erhoben wurden. Ich hoffe, Ihr stimmt mit mir überein, dass diesen Anschuldigungen nachgegangen werden muss?«
»Ja, ja, gewiss«, erwiderte Heinrich von Müllenark mit einem Seufzen. »Die Vorwürfe, die Ida Sterzin erhoben hat, müssen überprüft werden.«
»So sollen die Beginen morgen
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