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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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frischer Winterluft hing. Die jüngere der beiden trug eine Kerze in den Händen. Sie hatte ein blasses, ebenmäßiges Gesicht, in dem die Augenbrauen so hell waren, dass sie sich kaum von der Haut abhoben. Donata erkannte in ihr die Nonne, die sie am Morgen in das Kloster eingelassen hatte. Die andere Nonne war alt. Sie betrachtete Donata mit intelligenten, scharfen Augen.
    »Ehrwürdige Mutter, Ihr habt Euch nicht getäuscht, als Ihr meintet, Ihr würdet Licht im Skriptorium sehen.« Die Nonne mit den beinahe unsichtbaren Augenbrauen deutete auf das Talglicht, das Donata umklammert hielt.
    »Nun, ich mag zwar manchmal schwer von Begriff sein und eine Weile benötigen, ehe ich einen Menschen durchschaue. Aber ich bin doch noch in der Lage, einen Lichtschein hinter einem Fenster wahrzunehmen«, in der Stimme der alten Benediktinerin schwangen Spott und Verärgerung mit. Sie musterte Donata noch einmal forschend, ehe sie zu dem Tisch im Hintergrund des Raumes schaute, auf dem Lederbeutel, Schälchen und Farbmittel wie durchwühlt und weggeworfen lagen. Schließlich blieb ihr Blick auf dem Lapislazuli ruhen, den Donata auf dem Pult, neben der Buchseite, abgelegt hatte. Im Lichtschein entfaltete sich sein bläuliches Strahlen. Kalt sagte die Benediktinerin: »Ich nehme an, du bist die Frau, die Luitgard zu uns geschickt hat. Luitgard meinte, du bräuchtest Schutz. Ich hätte nicht gedacht, dass sie eine Diebin zu uns senden würde.«
    Die jüngere Nonne stieß einen erschrockenen und empörten Schrei aus.
    »Nein …«, stammelte Donata. »Ich habe nicht … Ich wollte nicht …«
    »Wenn du keine Steine stehlen willst, was hast du dann mitten in der Nacht im Skriptorium zu suchen?« Die dunklen, fast schwarzen Augen der alten Nonne ließen sie nicht los.
    Als die jüngere an das Schreibpult trat, wich Donata einen Schritt zur Seite.
    »Antworte mir, wenn ich mit dir rede«, verlangte die alte Benediktinerin.
    Doch die Worte blieben Donata in der Kehle stecken.
    »Mutter Äbtissin, seht, sie hat auch die Malerei verdorben. Die Farben durchzieht ein Riss.« Anklagend deutete die Nonne auf die Buchseite.
    Erst jetzt nahm Donata den schweren goldenen Ring wahr, der an einem Finger an der rechten Hand der alten Frau steckte. Sie erinnerte sich an die Stickerei, die sie auf dem Messgewand gesehen hatte, die stolzen, adlergleichen Tauben inmitten der roten Blüten, die ineinander ein- und auseinander hervorgingen. Die Nonne in der Stickstube hatte gesagt, die Äbtissin des Klosters habe die Vorlage geschaffen.
    Heftig und ohne nachzudenken erwiderte Donata: »Ich habe die Malerei nicht beschädigt. Beim Ansetzen der Farbe wurde zu viel Eiweiß verwendet. Das macht die Farben brüchig, wenn sie trocknen. Falls Ihr in der Buchmalerei bewandert seid, solltet Ihr dies wissen.«
    Erst als die junge Nonne hörbar nach Luft rang und sie verwirrt anstarrte, wurde Donata klar, was sie gesagt hatte. Ihre Angst ließ nach und wich einem Gefühl der Gleichgültigkeit. Trotzig hielt sie dem Blick der Äbtissin stand, die sie versonnen anschaute und schließlich mit einem spöttischen Unterton sagte: »Ach, du weißt etwas über die Buchmalerei?«
    »Ich habe diese Kunst einmal ausgeübt«, entgegnete Donata ruhig.
    »Tatsächlich?« Ein Funkeln glomm in den dunklen Augen der alten Frau auf. »Wenn du selbst Malereien angefertigt hast, wirst du auch andere beurteilen können. Was hältst du von den Buchmalereien unseres Skriptoriums?«
    »Es gibt andere, ausdrucksvollere Arten zu malen. Beispielsweise die Art, wie die Mönche von Winchester und von Citeaux dies tun … In ihren Bildern schwingt etwas. Sie sind Abbild von etwas, was nicht sichtbar ist. Der David auf diesem Vorsatzblatt«, Donata vollführte eine wegwerfende Geste zu dem Schreibpult, »trägt eine Harfe in der Hand. Aber in dem Bild ist keine Musik.«
    »Wie kannst du es wagen, so etwas zu behaupten?« Die Stimme der blassen Nonne bebte vor Entrüstung.
    Die Äbtissin drehte sich zu ihr um. »Schwester Gunhild, Ihr könnt gehen. Ich brauche Euch heute Nacht nicht mehr.«
    »Aber Mutter Äbtissin, seht Euch die Unordnung an, die diese Frau angerichtet hat. Ich will wenigstens die Steine und Farben an ihren Platz bringen …«
    »Geht schon!«, versetzte die alte Benediktinerin ungeduldig. »Ich sorge dafür, dass alles wieder in Ordnung kommt.«
    Die Nonne zögerte, verbeugte sich dann jedoch stumm, wobei ihr Röte ins Gesicht stieg, und verließ das Skriptorium. Die

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