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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Äbtissin legte den Kopf schief, als lauschte sie den Schritten hinterher, die sich entfernten und allmählich verklangen. Schließlich wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Donata zu und sagte leichthin: »Du hast die Malereien der Abteien von Winchester und Citeaux erwähnt, deshalb hast du, nehme ich an, die Buchmalerei in einem französischen Kloster erlernt?«
    Die Augen der alten Frau schienen unbewegt. Aber Donata hatte die Empfindung, dass unter der ruhigen Oberfläche Strudel lauerten, die drohten, ihre Seele zu ergreifen und in die Tiefe zu ziehen. Sie versuchte, sich gegen den Blick der Äbtissin zu versperren, aber es gelang ihr nicht.
    »Ja, ich habe meine Kunst in einem französischen Kloster gelernt«, entgegnete sie tonlos.
    »Wenn du in der Buchmalerei ausgebildet bist, wirst du auch wissen, wie du mit den Materialien umzugehen hast. Leg die Farben dorthin zurück, woher du sie genommen hast.«
    Donata zögerte, schließlich gehorchte sie. Als ob sie unter einem Bann stünde, aus dem sie sich nicht befreien konnte, nahm sie den Lapislazuli von dem Schreibpult, ging zu dem Tisch am Ende des Raumes, schob die anderen Steine in die Ledersäckchen und stellte die Tonschälchen, welche die verschiedenen Erden und Kräuter enthielten, auf das Bord zurück. Den Lapislazuli hatte sie sich bis zuletzt aufgehoben. Donata hatte ihn eben noch einmal rasch in die Hand genommen, als sie die Äbtissin sagen hörte: »Vor einiger Zeit habe ich ein Herbarium gesehen. Es stammt aus dem Skriptorium eines Benediktinerinnenklosters nahe bei Bayeux. Wenn man die Buchseiten aufschlägt, scheint es, als würden wirkliche Pflanzen aus den Seiten erwachsen. Ich hatte die Empfindung, dass ich, wenn ich die Blätter und Blüten berührte, ihre Beschaffenheit spüren könnte. Noch niemals habe ich Pflanzen so wiedergegeben gesehen.«
    Donata versteifte sich. Sie hörte die Äbtissin näher kommen, spürte, wie der Schein der Kerze auf ihr Gesicht fiel. Langsam und bemüht, ihre Hände ruhig zu halten, schob sie den Lapislazuli in den ledernen Beutel und legte ihn zu den anderen Materialien. Währenddessen redete die Äbtissin weiter. Obwohl Donata sie nicht ansah, wusste sie, dass die alte Frau sie nicht aus den Augen ließ.
    »Manche der Nonnen fürchteten sich vor dem Buch. Sie meinten, es sei Teufelswerk. Nun, zu ihrer Angst dürfte außerdem beigetragen haben, dass die Frau, die es schuf, eine rückfällige Ketzerin war. Sie wuchs unter Albigensern auf, wurde als Kind zu den Nonnen gebracht und von ihnen als Buchmalerin ausgebildet und sollte in das Kloster eintreten. Doch die junge Frau beschloss, einem albigensischen Prediger und seiner Begleiterin zur Flucht über den Kanal zu verhelfen. Der Plan wurde entdeckt und die Novizin gestand unter der Folter der Inquisition, was sie zu tun beabsichtigt hatte. Die Inquisition verurteilte die junge Frau dazu, das Schandkreuz zu tragen. Doch sie wollte für ihre Schuld nicht büßen und zog es vor, aus dem Kloster zu fliehen. Seit fast vier Jahren ist sie verschwunden. Wenn du Buchmalerin bist, hast du, nehme ich an, von dieser Geschichte gehört?«
    Donata erwachte aus ihrer Erstarrung. Langsam drehte sie sich zu der Äbtissin um. »Ja«, sagte sie rau. »Ich habe davon gehört.«
    Die alte Frau musterte sie erneut, ehe die Andeutung eines Lächelns auf ihrem strengen Gesicht erschien und sie die Hand ausstreckte, an der sie den Goldring trug. »Du bist mir bisher die Höflichkeit schuldig geblieben.« Ihr Blick und Donatas Blick maßen sich. Schließlich schlug Donata die Augen nieder, beugte die Knie und küsste den Ring.
    Als sie sich wieder erhoben hatte, stellte die Äbtissin fest: »Ich nehme nicht an, dass du viel Zeit in unserem Kloster verbringen willst. Ich kümmere mich darum, dass du während der nächsten Tage sicher aus der Stadt kommst.« Ihre Augen verdunkelten sich. Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, besann sich aber und bedeutete Donata, das Skriptorium zu verlassen.

E s brennt! Mutter, es brennt!« Die Stimme riss Ida Sterzin aus dem Schlaf. Benommen richtete sich die Seidenstickerin auf. Ihre Tochter Margarethe, die ein brennendes Talglicht in der Hand hielt, hatte sich über sie gebeugt. Ihre Augen waren schreckgeweitet.
    »Mutter, Eure Werkstatt brennt!« Obwohl Ida Sterzin sich weigerte zu glauben, was Margarethe schrie, stand sie hastig auf. Sie zog eine der Wolldecken, die auf dem Ehebett lagen, um sich. Ihre jüngste Tochter Katharina wollte

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