Die Buchmalerin
sich schutzsuchend an sie klammern – wenn Conrad Sterzin außer Haus war, schlief Katharina in der Kammer der Eltern –, aber die Seidenstickerin schüttelte sie ab und rannte auf nackten Füßen zur Tür.
Als sie bei der schmalen Wendeltreppe angelangt war, die ins Erdgeschoss führte, roch sie beißenden Rauch. Durch die Ritzen der Läden, die die Fensteröffnungen verschlossen, war ein zuckender Lichtschein zu sehen. Sie hastete nach unten, durch den dunklen Flur in die Küche, deren Tür zum Garten weit offen stand. Schon als sie über die Schwelle eilte, konnte sie die Hitze des Feuers spüren, das aus den Fensterhöhlen ihrer Werkstatt schlug.
Jörg, ihr Sohn, und einige Knechte bildeten einen schreienden, wirren Haufen vor dem brennenden Gebäude. Ein Teil der Männer versuchte, Schnee in die Flammen zu schaufeln. Andere, unter denen Ida Sterzin flüchtig den rothaarigen Schreiber wahrnahm, rannten mit Eimern von der Straße her auf den Hof und drängten sich an ihr vorbei. Noch immer nicht ganz bei sich, sah die Seidenstickerin zu, wie die Männer sich abmühten, Wasser und Schnee durch die Fensterhöhlen zu schütten. Beides verdampfte jedoch zischend in der Hitze des Feuers und minderte die Gewalt des Brandes nicht. In einer Ecke des mit Schindeln gedeckten Daches leuchtete es jetzt rötlich auf. Wenige Momente später brachen die Flammen durch das Gebälk und loderten hoch in den Nachthimmel.
Ein Funkenregen, der vor ihr niederging und im Schnee vor ihren nackten Füßen verdampfte, brachte sie wieder zu sich. Sie schob sich durch das Gewimmel. »Jörg, die Werkstatt ist verloren. Wir müssen dafür sorgen, dass das Feuer nicht auf das Haus und die anderen Gebäude übergreift!«
»Und du«, die Seidenstickerin packte einen Knecht am Arm. »Du läufst von Tür zu Tür und verständigst die Nachbarn. Sie sollen Eimer und Schaufeln mitbringen und eine Kette vom Brunnen in der Gasse bis in den Hof bilden.« Der Knecht nickte und eilte davon.
»Ein Teil von euch holt Leitern, damit die Flammen gelöscht werden können, falls sich irgendwo, trotz des Schnees, ein Dach entzündet. Jörg …« Ida Sterzin wandte sich wieder an ihren Sohn. »Jörg, du nimmst dir ein paar Knechte, steigst auf den Speicher im Haupthaus und achtest darauf, dass nichts von den Waren zu brennen beginnt.«
Jörg zögerte, aber der rothaarige Schreiber fasste ihn am Arm und schob ihn auf das Gebäude zu. »Deine Mutter hat Recht. Die Werkstatt kann nicht gerettet werden. Wir müssen Schlimmeres abwenden.«
Ida Sterzin blieb im Hof, in der Nähe ihrer Werkstatt, wo sich die Flammen mittlerweile durch das gesamte Dach gefressen hatten. Nachbarn kamen angelaufen. Das Gesinde schrie durcheinander. Die Seidenstickerin wies die einen an, eine Kette zum Hoftor hinaus auf die Gasse zu bilden. Anderen befahl sie, sich mit Schaufeln bereitzuhalten. Wenig später brach das Dach in einem Wirbel aus Flammen und Funken zusammen und riss das Obergeschoss des Gebäudes und alles, was von der Werkstatt noch übrig sein mochte, mit sich. Ida Sterzin griff nach einer Schaufel. Stumpf schippte sie inmitten der anderen Menschen matschigen Schnee zwischen die Mauern, die den Brandherd umgaben, und auf die Flammennester, die da und dort im Hof aufloderten.
Als der Morgen anbrach, hatten der Schnee und das Wasser, das über die Eimerkette herangereicht wurde, ihre Wirkung getan. Die Werkstatt war völlig zerstört, doch das Feuer hatte die anderen Gebäude nicht erfasst. Ida Sterzin ließ ihre Schaufel in den rußigen Matsch fallen und ging schwerfällig auf das zu, was von ihrer Werkstatt geblieben war. Einige geschwärzte Balkenstümpfe – klägliche Reste des Fachwerks – umgaben einen Haufen aus Asche und Verkohltem. Noch immer empfand sie nichts.
Ein Windstoß fuhr über den Hof. Inmitten eines Aschenregens fiel ein Stück rotes Seidengarn vor ihre Füße. Erst dieses Stück glänzenden Garns trieb ihr die Tränen in die Augen. Ihre Werkstatt … Sie sah die bunten bestickten Bänder und Stoffe vor sich. Dieser fingerlange Rest Garn war alles, was von ihren Mühen übrig war. Alle Versuche, durch ihre Arbeit Reichtum und Ansehen für ihr Haus zu erringen, waren gescheitert.
Die Seidenstickerin würgte die Tränen hinunter. Wie hatte das Feuer nur entstehen können? Am vergangenen Abend, ehe sie in Begleitung des Schreibers zum Hof des Erzbischofs gegangen war, um ihre Aussage gegen die Beginen zu machen, hatte sie noch einmal einen Rundgang
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