Die Buchmalerin
durch ihre Werkstatt und die Deckenweberei ihres Mannes unternommen. Als sie die Räume verlassen hatte, brannte nirgends mehr ein Licht und die Kohlebecken waren sorgfältig abgedeckt. Und abgesehen davon, dass ohnehin niemand von ihrem Gesinde es wagte, diese Räume nach ihrem Rundgang noch einmal zu betreten – sie hatte die Werkstätten wie jeden Abend abgeschlossen und die Schlüssel bei sich getragen. Wie also hatte das Feuer entstehen können? Eine Ahnung stieg in der Seidenstickerin auf, die sie nicht weiterzudenken wagte. Mit heißen, brennenden Augen starrte sie dorthin, wo der grotesk verkrümmte Rest eines Dachsparrens – oder war es ein verbrannter Stickrahmen? – zwischen dem geschwärzten Schutt aufragte.
Als Ida Sterzin Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich müde um. Der rothaarige Schreiber trat neben sie. Bei ihm war ein kahlköpfiger, muskulöser Mann. Flüchtig erinnerte sie sich, ihn am vergangenen Abend im Saal des erzbischöflichen Palastes gesehen zu haben.
»Als Ihr gestern vor dem Erzbischof der Stadt und dem Kardinal gegen die Beginen ausgesagt und sie der Ketzerei angeklagt habt … Da habt Ihr die Begine namens Bilhildis auch der Zauberei beschuldigt, nicht wahr?« Der Fremde redete stockend und mit einem starken südländischen Akzent.
Die Seidenstickerin nickte. Ihr Mund wurde trocken.
Ein Raunen ging durch die Menge, die dicht gedrängt in dem engen Hof stand, über dem immer noch der beißende Geruch von Rauch lag. Einige Menschen wichen zurück, vollführten mit den gekreuzten Fingern das Zeichen, das den bösen Blick abwenden sollte. Jörg, der sich beim Gesinde aufhielt, schaute verwundert von seiner Mutter zu den Leuten.
Eine ältere Frau, deren hageres Gesicht ein Netz von roten, geplatzten Äderchen durchzog, richtete die Hand mit den gekreuzten Fingern gegen die Seidenstickerin und begann zu schreien: »Ida Sterzin, durch Euer böses Gerede habt Ihr den Fluch der Beginen herabgerufen und Unglück über Euch und Euer Haus gebracht. Haltet Euch von uns fern, damit Ihr nicht auch noch Unglück über uns, Eure Nachbarn, bringt.«
Zustimmendes Gemurmel wurde laut.
Wut stieg in Ida Sterzin auf. Sie ging auf die Menge zu, aus der sich mehr und mehr Hände abwehrend gegen sie erhoben. »Gebt nur Acht, dass der Fluch der Beginen Euch nicht selbst trifft! Und Ihr …« Ida Sterzin sah der Nachbarin, die sie angeklagt hatte, zornig in die Augen. »Habt Ihr nicht noch vor wenigen Tagen behauptet, die Begine Bilhildis habe Euch einen Husten geschickt, weil Ihr den Frauen in der Stolkgasse kein Geld spenden wolltet? Und Ihr anderen? Wer von Euch hat nicht schon einmal über die Beginen geklagt? Es sind böse Frauen. Glaubt mir, dass Ihr es nie gewagt habt, Euch gegen sie zu wehren, heißt nicht, dass sie Euch ungeschoren lassen!«
»Ida Sterzin hat Recht. Wir alle haben nicht nur Gutes über die Beginen gesprochen«, bemerkte ein älterer Nachbar.
Sie warf ihm einen raschen, dankbaren Blick zu.
»Gott steh uns bei, wenn uns die Beginen unsere schlechten Reden vergelten lassen«, ließ sich eine Frau mit schriller Stimme vernehmen und bekreuzigte sich. »Ist es nicht so, dass sich das Böse immer noch einmal aufbäumt und Verwüstung mit sich bringt, ehe es endgültig besiegt wird? Was werden die Beginen uns antun, ehe die Inquisition ihre Macht bricht?«
Ida Sterzin sah von der zerstörten Werkstatt hinüber zu dem Haupthaus, über dessen Dächern die Morgensonne stand. Die Fachwerkmauern, welche die Deckenweberei und das Lager beherbergten, waren verrußt, aber intakt. Was würden die Beginen ihr noch zu nehmen versuchen? Sie empfand eine Furcht wie bisher nur einmal in ihrem Leben: damals, an einem Herbsttag, als sie, ein Kind, allein einem tollwütigen Fuchs gegenübergestanden hatte, zwischen Hagebutten- und Holunderbüschen im Garten ihrer Familie vor der Stadt. Sie hatte das Holzstück, mit dem sie gespielt hatte, fallen lassen, nach einem Stein getastet und ihn auf den Fuchs geschleudert. Sie hatte das Tier getötet. Plötzlich glaubte sie, den bitteren Geruch der reifen Holunderbeeren zu riechen.
»Wir müssen die Beginen erschlagen«, hörte sie sich sagen.
»Ach ja? Und wie wollt Ihr dies tun, ehe die Frauen Euch und uns töten?«, höhnte die Nachbarin, die als Erste das Wort gegen die Seidenstickerin ergriffen hatte.
»Nehmt Kreuze mit und geweihtes Wasser.« Wieder trat der kahlköpfige Fremde neben Ida Sterzin. Sie hatte ihn fast vergessen. Veit, der
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