Die Buchmalerin
Donata, sich ein Wachstäfelchen und einen Griffel zu nehmen und sich auf einen anderen Schemel zu setzen. Sie selbst ließ sich in ihrem Lehnstuhl nieder und legte ihre gichtigen Hände in den Schoß.
»Im Namen Christi, unseres Herrn«, begann sie zu diktieren. Donata bewegte ihre Hand, um die Buchstaben in das Wachs zu ritzen, hielt jedoch unvermittelt inne und blickte starr auf das gelbe Wachs.
»Was ist? Hast du mich nicht verstanden?«, fragte die Äbtissin gereizt. »Oder hast du in all den Jahren, seitdem du aus dem Kloster geflohen bist und dich in der Welt herumgetrieben hast, das Schreiben verlernt?«
Donata wandte ihr das Gesicht zu. »Nein, ich habe es nicht verlernt«, entgegnete sie heftig. »Aber ist … ist das, was Ihr mir diktieren wollt, ein heiliger Text?«
»Vergiss nicht, mit wem du sprichst«, entgegnete die Äbtissin barsch. »Respekt und Demut jedenfalls scheinst du nicht mehr zu besitzen.« Sie musterte Donata, deren Miene bleich und angespannt war, und fuhr etwas milder fort: »Ich habe einem Verwalter etwas mitzuteilen. Einem Mann, der einem unserer Güter in der Gegend von Nideggen vorsteht. Fürchtest du dich etwa davor, heilige Worte zu schreiben?«
Donata wollte nicht antworten. Doch es erging ihr wie in der Nacht zuvor im Skriptorium. Sie konnte den dunklen Augen nicht ausweichen. Schließlich sagte sie leise: »Es ist nicht gut, wenn ich diese Worte schreibe. Ich … ich glaube, der Himmel wollte mich dafür strafen. Vor nicht allzu langer Zeit …«
Die Äbtissin betrachtete sie nachdenklich, erwiderte jedoch nur: »Nun, es geht um keinen heiligen Text. In diesem Fall wird es den Himmel nicht stören, wenn du deine Gabe gebrauchst. Also, können wir jetzt beginnen?«
Donata nickte.
»Im Namen Christi, unseres Herrn. Ich, Adelheid, Äbtissin des Klosters Maria im Kapitol und der zu dem Kloster gehörenden Güter und Liegenschaften, beauftrage Euch, Wilbert, Verwalter des Klostergutes in der Gegend von Nideggen, nahe dem Nettelbach, damit …« Sie wartete, bis Donata mit dem Schreiben innehielt und den Blick von der Wachstafel hob, ehe sie mit ihrer ein wenig spröden und trockenen Stimme weitersprach: »… das Gehöft, das zwischen dem Nettelbach und einem Buchenwald gelegen ist und im vergangenen Herbst durch einen Brand schwer beschädigt wurde, im Laufe des Frühjahrs wieder aufzubauen, sodass dort neues Leben einziehen kann. Das Bauholz nehmt Ihr aus den Beständen des Gutes …«
Die Äbtissin brach ab und wandte den Kopf der Tür zu. Draußen auf dem Arkadengang waren laute, aufgeregte Stimmen und das Geklapper von Sandalen zu hören. Wenige Augenblicke später wurde die Tür aufgestoßen. Schwester Gunhild, die Schreiberin der Äbtissin, und einige andere Nonnen stürzten in den Raum. Die Schreiberin verbeugte sich vor der Äbtissin. Ihr bleiches, vornehmes Gesicht war verstört. »Verzeiht, Ehrwürdige Mutter, dass wir so ungebührlich bei Euch eindringen …«
»Redet nicht herum«, sagte sie scharf. »Was ist geschehen?«
»Der Pöbel zieht zur Stolkgasse. Es heißt, die Beginen sollen das Haus der Sterzins mit einem Zauber belegt und so in Brand gesteckt haben. Die Leute tragen Sensen und Dreschflegel bei sich …«
Die Äbtissin erhob sich behände. Mit einer gewissen Befriedigung dachte sie, dass sie ihren Eingebungen immer noch trauen konnte. Ihre Ahnung, dass ein Unheil bevorstand, hatte sie nicht getrogen. Jetzt, da sie wusste, wovor sie sich fürchten musste, fiel die Unruhe von ihr ab.
»Ihr kommt mit mir zur Stolkgasse«, befahl sie den Nonnen, die sich in den Raum drängten. »Und Ihr«, wandte sie sich an die Schreiberin, »Ihr verständigt die übrigen Schwestern. Sie sollen uns sofort folgen.«
»Aber Ehrwürdige Mutter«, Schwester Gunhild hob entsetzt die Hände. »Was sollen wir Frauen gegen eine bewaffnete Menge ausrichten?«
Die Augen der Äbtissin funkelten. »Kleinmut ist eine Sünde«, entgegnete sie. »Denkt an Judith, die das ganze Heer der Assyrer in die Flucht geschlagen hat.«
Die alte Frau beachtete die Schreiberin nicht weiter und auch nicht Donata, die auf dem Schemel saß, als sei alles Leben aus ihr gewichen. Gefolgt von den Nonnen, eilte Adelheid aus dem Raum.
*
Nachdem die Äbtissin davongehastet war, spiegelte die Miene der Schreiberin Unsicherheit und Empörung. Sie zögerte, wollte schließlich ebenfalls den Raum verlassen. Doch in diesem Moment fiel ihr Blick auf Donata, die immer noch reglos auf dem Schemel saß.
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