Die Buchmalerin
Schreiber, stand neben ihm. Er schenkte Ida Sterzin ein flüchtiges Lächeln, ehe er sich an die Menge wandte. »Kreuze und geweihtes Wasser – gegen diese heiligen Dinge vermag eine Zauberin nichts auszurichten.«
Schweigen breitete sich in der Menge aus. Jörg Sterzin brach es mit dem Schrei: »Ich hole Sensen und Dreschflegel. Mutter, kümmere du dich um Kreuze und Weihwasser.«
»Worauf warten wir noch?«, brüllten einige junge Nachbarsburschen, die etwa gleich alt wie Jörg waren.
Der Fremde drückte der Seidenstickerin ein grobes Holzkreuz in die Hand, das aus zusammengebundenen Ästen gebildet war. Einen Augenblick lang fragte sich Ida Sterzin verwundert, woher er das Kreuz so schnell zur Hand hatte. Sie vergaß ihren Zweifel jedoch sofort wieder. Voller Zorn und Verachtung wandte sie sich an ihre Nachbarn, die immer noch unschlüssig zwischen Pfützen und Schneematsch herumstanden.
Sie hob das Kreuz über ihren Kopf und rief: »Ja, worauf wartet Ihr noch? Dass die Beginen Euch töten, ehe Ihr sie umbringt?«
Ida Sterzin rannte auf das Hoftor zu, ohne sich noch einmal umzusehen. Als sie hörte, dass die Menge ihr folgte, empfand sie eine wilde Freude.
*
Adelheid, die Äbtissin, schritt den steinernen Kreuzgang auf und ab. Der Himmel, der durch die Rundbögen zu sehen war, hatte eine strahlend blaue Farbe – wirkte eher wie ein Sommerhimmel statt der eines Wintertages. Dennoch war es so kalt, dass sie ihre gichtigen Hände unter ihren schwarzen Mantel geschoben hatte. Sie war unruhig und gereizt, und der Wind, der in heftigen Stößen über den verschneiten Innenhof wehte, verstärkte ihr Unbehagen.
Sie versuchte, sich auf einen der Psalmen zu konzentrieren, den sie und die anderen Benediktinerinnen während der Laudes gesungen hatten. Aber ihre Gedanken wanderten wieder zurück zum Mahl im Palast des Erzbischofs, zur Anklage, die von Ida Sterzin gegen die Beginen erhoben worden war, und zur Drohung, die der Kardinal gegen sie selbst ausgesprochen hatte.
Der Kardinal spielt irgendein Spiel, grübelte sie. Und ich habe das zu spät erkannt und mich in das Spiel ziehen und übertölpeln lassen. Sie war zornig über sich selbst. Schließlich ließ sie sich sonst nicht leicht täuschen und wusste durchaus auch selbst, Listen zu gebrauchen. Aber statt den Beginen durch ihr Eingreifen zu helfen, hatte sie ihnen nur geschadet.
Neben einer Säule blieb sie stehen, kniff die Augen gegen das Sonnenlicht zusammen und blickte über den Innenhof. Da und dort hatte der Wind die Oberfläche des Schnees zu einem feinen Muster gekräuselt. Den steinernen Brunnen in der Mitte des Gevierts – seine Schale trugen vier Löwen – bedeckte eine dicke Eisschicht. Dem Kardinal ging es nicht um die angeblichen Ketzereien der Beginen, dessen war sie sich gewiss. Trotzdem konnte sie sich nicht erklären, warum Enzio von Trient die Anklage der Seidenstickerin unterstützt hatte.
Cantate domino … Die Äbtissin richtete ihre Gedanken wieder auf den Psalm und begann ihre Wanderung durch den Kreuzgang aufs Neue. Nach einigen Schritten schweifte ihre Aufmerksamkeit abermals ab. Was in aller Welt bezweckte der Kardinal? Wenn sie sich zwischen Gisbert, dem Inquisitor, und dem Kardinal als Gegner hätte entscheiden können, hätte sie Gisbert gewählt. Denn dessen Ziele waren klar, während sich in den Plänen Enzios von Trient Untiefen und gefährliche Strömungen verbargen. Resigniert gestand sich die Äbtissin ein, dass sie an diesem Morgen nicht in der Lage war, ihre Gedanken zu sammeln und auf das Gebet zu richten.
Ich sollte Briefe diktieren, dachte sie. Damit würde ich wenigstens etwas Nützliches tun. Aber gereizt, wie sie war, wusste sie, dass sie Schwester Gunhild, ihre hochmütige, blassgesichtige Schreiberin, nicht ertragen würde. Es war nutzlos, dass sie diese Übung in Demut und Beherrschung auf sich nahm.
Sie hatte das Ende des von Licht durchfluteten Kreuzgangs erreicht und wollte umkehren, um einen neuen, grimmigen Versuch zu unternehmen, ihre Gedanken zu sammeln. Doch nun betrat eine schmale Frau den Kreuzgang, die einen Korb voller Feuerholz trug. Die Äbtissin blinzelte wieder.
»Da du malen kannst, nehme ich an, du kannst auch schreiben«, sagte sie und hielt Donata auf, die mit gesenktem Kopf an ihr vorbeigehen wollte.
Donata nickte.
Die alte Frau befahl: »Komm mit!«
Nachdem die Äbtissin in ihrem Schreibzimmer den Mantel ausgezogen und ihn über einen Schemel gebreitet hatte, bedeutete sie
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