Die Buchmalerin
sonst hätte Euch Euer Herr wohl kaum nach Köln geschickt –, scheint Ihr den Toten zu kennen«, sagte Enzio liebenswürdig. »Wollt Ihr uns nicht sagen, wer er ist?«
Einen Moment schwieg der Geistliche, ehe er schwerfällig antwortete: »Ich befürchte, der Tote ist Gisbert, der Dominikaner, den der Papst als Inquisitor zu uns geschickt hat.«
Ein entsetztes Aufkeuchen entrang sich der Menge. Manche Menschen bekreuzigten sich. Roger glaubte, einen Schatten auf dem Gesicht des Kardinals zu sehen, aber er wagte es nicht, seiner Wahrnehmung zu trauen. Enzios Stimme klang ruhig, als er befahl: »Zeigt uns den Toten!«
Der Kardinal von Trient, Heinrich von Müllenark und Eudo, der Priester, schritten, gefolgt von den Bediensteten und der gaffenden Menge, zu dem Karren. Roger schob sich zwischen den anderen Menschen nach vorne. Während er darauf achtete, dass ihm weder jemand den Blick auf den Karren versperrte noch dass er zu weit ins Gesichtsfeld des Kardinals geriet, grübelte er über das eben Gehörte nach. Er glaubte wieder, beinahe körperlich zu spüren, dass die Fährte ganz nah war, dass er sie entweder jeden Moment finden oder für immer verlieren würde.
Auf eine Handbewegung des Priesters hin hoben die beiden Dienstleute, die neben dem Karren gewartet hatten, den Deckel von der länglichen Kiste. Heinrich von Müllenark trat einige Schritte vor bis dicht an das Gefährt heran. Der Kardinal von Trient hielt sich ein wenig hinter ihm.
In der Kiste – die eigentlich ein Sarg war, wie Roger jetzt begriff – lag ein ausgezehrter Mann. Seine weit aufgerissenen Augen schienen zu dem tiefblauen Himmel hinaufzustarren. Eine Eisschicht von unterschiedlicher Dicke und Form überzog den Körper des Toten. Dennoch war unverkennbar, dass das braune Gewand, das der Tote trug, die Kutte eines Dominikaners war, und dass blutiges Gedärm aus seinem Unterleib hervorquoll. Nur das hohlwangige Gesicht des Leichnams war gänzlich vom Eis befreit.
Heinrich von Müllenark bekreuzigte sich. »Ja, der Tote ist Gisbert, der Inquisitor.« Der Kardinal von Trient schlug ebenfalls das Kreuzzeichen. Seine Miene war angespannt und seine grauen Augen wirkten kalt. »Gott helfe uns. Ja, es ist Gisbert.«
Nach einem Moment des Schweigens wandte sich Enzio an den Dorfpriester. »Wo wurde der Tote gefunden?«
»In einem Waldteich. Bedienstete des Herrn von Berresheim hatten den Auftrag, ein Loch in das Eis zu hacken und nach Forellen zu fischen. Sonst wäre der Tote – wenn überhaupt – wohl nicht vor Anbruch des Frühjahrs gefunden worden.«
Roger starrte den Toten an. Er glaubte, den Diener des Kardinals vor sich zu sehen, der ein Loch in einen gefrorenen Waldteich hieb und eine Leiche hinab ins Wasser senkte. Nicht weit von diesem Teich entfernt war Léon der als Knabe verkleideten Frau begegnet. Jener Frau, der er, Roger, geholfen hatte zu entkommen und die der Kardinal als Ketzerin suchen ließ. Er verstand immer noch nicht, was dies alles genau bedeutete. Aber er wusste, dass er seine Spur wieder gefunden hatte.
»Wir müssen davon ausgehen, dass einer jener Menschen, die das Unkraut unter dem Weizen bilden, Gisbert getötet hat.« Enzios Stimme brachte Roger wieder in den kalten, sonnigen Hof des erzbischöflichen Palastes zurück. In einem Gefühl merkwürdiger Entrücktheit hörte er zu, wie der Kardinal weitersprach: »Einer jener Menschen ist Gisberts Mörder, die das Gericht des Inquisitors fürchten mussten. Ein Mensch, der seine Seele dem Unglauben zugewandt hat …«
Der wütende Lärm, der in der Stadt herrschte, war mittlerweile so nahe gekommen, dass Roger wieder auf ihn aufmerksam wurde. Er sah zu den Toren. Auch andere Leute wandten verwundert die Köpfe. Der Kardinal beugte sich zu Heinrich von Müllenark und wechselte einige leise Worte mit ihm.
Durch eines der Tore rannte jetzt ein alter Mann, dessen Kleidung mit Schmutz bedeckt war. Auf seiner Wange befand sich eine blutige Schramme. Der Alte blieb, nach Atem ringend, vor dem Erzbischof und dem Kardinal stehen. Seine Augen waren verstört. Roger benötigte einige Momente, ehe er in ihm den würdevollen Herrn erkannte, der Karl Herkenrath hieß und der am vorigen Abend für die Beginen eingetreten war.
»Ihr Herren«, stammelte der Mann, »der Pöbel zieht gegen die Stolkgasse. Einige Männer aus meinem Haus sind schon dorthin gelaufen, aber ich weiß nicht, wie lange sie die Frauen noch schützen können …«
*
Durch die Fensteröffnung im Haus
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