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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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guten Fischfang machte, indem man den Saft des Catahua-Baums ins Wasser goss, der sie tötete? Dass man tödliches Pfeilgift auch aus Lianen gewann? Oder wie man ein Blasrohr bediente? «Es gibt welche, die sind so lang wie zwei Männer», Ruben steckte einen vergifteten Dorn in sein Bambusblasrohr und verkeilte die Finger um ein Ende. «Aber mit ihnen zu zielen, ist langwierig. Wenn es schnell gehen muss, ist ein kurzes wie dieses besser geeignet. Zumal man das Ziel ohnehin nicht immer sieht – wie jetzt gerade. Ich weiß jedenfalls nicht, ob hinter dem Gebüsch ein Mensch oder ein Tier ist.»
    «Was?» Amely sprang hinter ihn. Es raschelte doch ständig im Gebüsch, und ständig waren sie in Bewegung. «Du willst mir bloß Angst machen.»
    «Nein, nein. Da ist wirklich etwas Großes. Es könnte ein Jaguar sein.»
    «O Gott, Ruben.»
    «Ganz ruhig. Sieh her.» Er hob das Blasrohr an die Lippen. «Du musst es mit dem Mund oder der Zunge verschließen. Die Luft ansaugen und ausstoßen. Sei vorsichtig. Und schnell!»
    Er drückte es ihr in die Hände. Jetzt sah auch sie, dass im Unterholz etwas lauerte. Die Blätter bebten; Blüten segelten herab.
Ich kann das nicht!
, dachte sie. Und hatte den Dorn auch schon abgeschossen. Der schrille Schrei ging ihr durch Mark und Bein. Ein Queixada kam hervor, rannte dicht an ihr vorbei und fiel wie von einer Axt gefällt auf die Seite.
    «Ah, ein Schwein», sagte Ruben. «Es wird gleich gewittern; da sind sie immer so unruhig.»
    Amely blickte hinauf in die strahlend blauen Flecken zwischen den Baumkronen. Keine Wolke. Sie zweifelte nicht, dass es in wenigen Minuten schütten würde. So war es hier immer. Es regnete manchmal sogar, ohne dass sich eine Wolke am Himmel zeigte.
    Ruben schnitt lange Farnblätter, drehte sie zu einem kurzen Seil und umwickelte mit sichtlichem Widerwillen die Läufe des Schweins. Wie jeder Yayasacu verachtete er dieses Tier. Aber heute würde es zur Abwechslung Fleisch geben, dessen Geschmack Amely ein wenig vertrauter war. «Von deinen Lehrstunden habe ich jetzt aber wirklich genug», sagte sie, immer noch mit klopfendem Herzen. «Ich bin keine Jägerin und werde auch keine.»
    Er lächelte. «Nein. Das bist du nicht. Aber heute gehen wir noch einmal jagen. Heute Nacht.»
     
    War der Wald tags in ständiges Dämmerlicht getaucht, so war er des Nachts stockdunkel. Ruben trug einen brennenden Teerklumpen vor sich her. Seine andere Hand hielt Amelys Finger warm umschlossen. Kein vernünftiger Mensch lief zu dieser Zeit ohne triftigen Grund umher, das war sogar in zivilisierteren Gegenden so. Ruben war kein vernünftiger Mensch. Trotzdem fühlte sie sich sicher. So viel hatte sie nun an seiner Seite erlebt, dass die hellblauen Augen riesiger Spinnen und die grünen Leiber flatternder Leuchtkäfer sie nicht mehr erschreckten.
    Ich muss wirklich verrückt sein
, dachte sie, von einem Zittern durchflossen.
Ich laufe mit einem Mann durch den Dschungel, der alle paar Schritte anhält, um zu tanzen und zu singen und Knoten in Lianen zu machen, weil er glaubt, das halte böse Geister zurück.
    Das Getöse der Grillen und Zikaden klang noch lauter als am Tage; so hörte sie den Fluss erst rauschen, als sich ihre Zehen in den Ufersand gruben.
    «Tritt dorthin, wohin ich trete», wies Ruben sie an.
    «Was willst du hier jagen?»
    «Eine Anakonda.
Die
Anakonda.»
    Amely verbiss sich die Bemerkung, dass sie liebend gern in der Hängematte weitergeschlafen hätte. Oder dass sie auf ein Geschenk wie jene Fischzunge gut verzichten konnte. Nun, da das Ding längst getrocknet war, wusste sie, warum es bei den Frauen so begehrt war: Es war eine gute Nagelfeile. Doch was auch immer eine Anakonda zu bieten hatte, Amely war sich sicher, dass es nicht so wichtig war, eine solche Gefahr einzugehen.
    «Dort drüben ist ein Krokodil», raunte Ruben ihr zu. «Seine roten Augen reflektieren das Lampenlicht, siehst du?»
    «Nein, und ich will es gar nicht sehen.»
    Er lachte leise. «Es ist ganz ungefährlich, denn das Holz meines Einbaums riecht stärker als wir. Komm.»
    Sie kletterte ins Boot und kauerte sich nieder, die Arme um die Knie geschlungen. Ruben löschte das Licht. Er schob den Einbaum ins Wasser, sprang hinein und ergriff das Paddel. Mit wenigen raschen Schlägen war er in der Mitte des Igarapés. Hier draußen war es heller; der sichelförmige Mond offenbarte die Umrisse der in den Himmel ragenden Baumgiganten. Die Augen des Krokodils entdeckte Amely nicht, dafür

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