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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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jedoch einen Schwarm Fledermäuse, der über das Wasser hinwegschoss. Irgendwo gellten die Schreie der Fettschwalme.
    «Gibt es hier Botos?»
    «Ja, aber wenige. Der Boto ist gern dort, wo der Schwarze Fluss auf den Tungara’y trifft – den Amazonas», erklärte Ruben. «Dort sind die Fische wegen des unterschiedlichen Wassers verwirrt und leichte Beute. Wir nennen ihn U’iara.»
    Knirschend bohrte sich der Einbaum in den Sand des gegenüberliegenden Ufers. Die lärmenden Frösche ließen sich nicht stören, als Amely durch ein Feld von duftenden Wasserhyazinthen watete. Die Sandbank war schmal; nach wenigen Schritten schon stand sie an einem breiteren Flusslauf.
    «Hier finden wir die Anakonda», sagte Ruben. «Vielleicht hast du sie schon gesehen. Aber ich glaube es nicht. Du beobachtest immer nur den Boden, ob da etwas lauert. Gib mir deine Hand. Es ist nicht gefährlich, du musst nur darauf achten, was deine Füße erspüren.»
    Vorsichtig stieg sie ins Wasser; es reichte ihr gottlob nur bis zu den Knöcheln. Die Strömung war nicht stark, doch der Boden aus glattem Gestein. An Rubens Hand fühlte sie sich halbwegs sicher – seine Sinne übertrafen die ihren bei weitem. Langsam tastete sie sich über den felsigen Grund, unmittelbar neben einem mannshohen Abgrund, den das Wasser brodelnd hinabrauschte. Schritt um Schritt; es dauerte endlos. In der Flussmitte ragten flache Felsen hervor. Ruben setzte sich darauf und zog sie neben sich.
    «Und wo soll die Schlange nun zu finden sein?», fragte Amely, keineswegs erpicht darauf, sie zu sehen.
    «Schau in den Himmel.»
    Sie legte den Kopf in den Nacken. Gewiss hatte sie oft in den Himmel geschaut: Tausende, Abertausende Sterne. «Aber Ruben, was …»
    «Schsch. Lass dir Zeit.»
    Mitten auf dem Atlantik war sie einmal des Nachts an Deck gewesen und hatte das berühmte Kreuz des Südens gesucht. Aber der Wind war schneidend gewesen; sie hatte sich unwohl gefühlt und es vorgezogen, rasch wieder in ihrer Kabine zu verschwinden, um über ihr Schicksal zu weinen. Plötzlich glaubte sie zu begreifen: Ruben wollte ihr ein indianisches Sternbild zeigen. Doch in der Fülle der Sterne entdeckte sie nichts Schlangenähnliches. Wohl sah sie die Milchstraße, die wirkte, als sei sie das Abbild des Flusses hier auf der Erde. «Ich habe noch nie die Milchstraße gesehen», hauchte sie beeindruckt. All die Farbenpracht des Urwaldes verblasste gegen diese Fülle von Licht. «Sie ist wie … wie … o Ruben,
das
ist die Anakonda?»
    «Die Große Himmelsanakonda. Du hast sie noch nie gesehen? Die ganze Welt sieht sie.»
    «Es ist nachts zu hell – in Berlin und in Manaus. An der Ostsee habe ich bei einem heimlichen Nachtspaziergang den Sternenhimmel bestaunt, aber so prächtig wie hier war er nicht.»
    «Heimlich? Du hast etwas Heimliches getan?»
    «Du hältst mich wohl für sehr brav.»
    «Nun …»
    Sie stieß ihm den Ellbogen in die Seite. «Ich bin sogar heimlich geschwommen. Kannst du dich an die Umkleidekabinen erinnern, die man an den Strandsaum fährt, damit eine Dame möglichst ungesehen ins Wasser steigen kann?»
    «Ich kann mich sogar erinnern, unter so einen Wagen gekrochen zu sein und durch ein Astloch gespäht zu haben.»
    «Ruben! Jedenfalls bin ich von dort aus ganz nackt ins Wasser gestiegen. Obwohl ich es nicht so ganz genießen konnte, weil ich dauernd Angst hatte, dass mich jemand erwischt, ist es eines meiner schönsten Erlebnisse gewesen. Kannst du dir das vorstellen?»
    «Natürlich. Du bist eine leidenschaftliche Frau.»
    «Bin ich nicht.»
    «Du musst dir nur einmal zuhören, wenn du aus deinem Leben in Preußen erzählst.»
    Ach, so viel hatte sie erzählt, tausend Geschichten und Begebenheiten, aber sie hatte immer die Befürchtung, einen wie ihn, der täglich ums Dasein kämpfte, mit den Erlebnissen eines Backfisches und einer jungen Dame nicht beeindrucken zu können. Und nun sagte er, sie sei leidenschaftlich!
    «Julius hat gesagt, ich sei viel zu anständig.»
    «Es ist egal, was Julius gesagt hat, denn er ist ein Dummkopf.»
    «Wieso?»
    «Er hat dich gehen lassen.»
    «Das musste er doch.»
    «Niemand
muss
, wenn er nicht will.»
    Sie betrachtete sein Profil. War es nicht erschreckend, nacheinander drei Männern zu verfallen? Nein. Julius – ihn hatte sie wirklich geliebt. Wie ein unbedarftes Mädchen eben seine erste Liebe liebte. Felipe? Ihm war sie zu einer Zeit begegnet, als das neue Leben sie wie ein Spielzeug hin und her geworfen

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