Die Bucht des grünen Mondes
Sie nicht, dass Sie etwas übertreiben?», erwiderte sie kühl, ohne den Blick vom Flussufer zu nehmen. «Und dass Sie dreist sind, mir zu befehlen, als sei ich einer Ihrer Arbeiter?»
«Der Tadel ist berechtigt», brummte er. «Aber Sie sehen ja wirklich aus wie ein Arbeiter. Verzeihen Sie, Senhora Wittstock. Es wird nicht wieder vorkommen.»
Unwillkürlich sah sie an sich hinunter. Sie steckte in Jutehosen mit ausgefransten Beinen, die kaum ihre Waden bedeckten, und einem viel zu weiten Männerhemd, dem ordentlichsten, das er hatte auftreiben können. So ganz wusste sie noch nicht, ob sie sich damit nackt oder verhüllt fühlen sollte – in jedem Falle schäbig.
Es stimmte, dass sie in diesen Tagen nur ein paar Bissen zu sich genommen hatte. Hartes Brot, getrockneter Fisch; sie bekam es nicht hinunter. Für einen stärkenden Becher Guaraná gäbe sie einiges.
«Wenn Sie mir bitte eine Zigarette geben würden?»
Er hob die Brauen. «Das ist aber nicht das Richtige für eine Dame.» Dennoch zündete er ihr eine Cabaña an und gab sie ihr. «Haben Sie etwa unter den Indios das Rauchen gelernt?», fragte er, als sie auch nach dem dritten Zug nicht hustete. Der Geschmack des Tabaks ähnelte dem über Brasilholz geräucherten der Yayasacu. Amely nahm noch einen tiefen Zug, der ihr die Tränen in die Augen trieb, jedoch vor Sehnsucht nach jener Zeit; dann warf sie die Zigarette über Bord.
Er kam noch näher. Sie wollte nicht weiter zurückweichen. Stur starrte sie auf das Ufer. Es wirkte vertraut. Gleich, hinter dieser sanften Biegung dort … Ach, der Kutter war viel zu weit entfernt. Sie reckte sich über die Reling, als könne sie das Boot heranzwingen ans Ufer. Dort, die Weidenbäume, ja, dort … Querwachsende Stämme markierten die Einfahrt in die Bucht, wie ein geschlossenes Tor, durch das nur der Eingeweihte fand. Sie sah die riesigen Blätter der Seerosen hindurchschimmern. Ein verwunschener Ort. Einer der vielen wundersamen Eingänge zu Encante. Dort hatte Ruben sie zum ersten Mal im Arm gehalten. Dort, ach … Sie wollte sich abwenden, unter Deck stürmen, sich in der einzigen Kajüte verkriechen.
Felipe hielt sie am Arm fest. «Amely.»
«Für Sie ‹Frau Wittstock›!»
«Unsinn, Amely.» Seine Finger drückten, dass es schmerzte. «Als wir uns zuletzt sahen, hatte ich darüber nachgedacht, wie es wäre …»
«Was immer Sie sagen wollen, behalten Sie es für sich, dann kann es keinen Schaden anrichten. Und fragen Sie sich, ob Sie meinen Gatten hintergehen könnten.»
«Ich könnte es. Für eine Nacht», sagte er unverblümt. Dieser Blick aus nachtschwarzen Augen, als hielte er sich für unwiderstehlich, war ihr noch in guter Erinnerung. Die kleine Brandnarbe im Gesicht, die es nur mehr interessanter gemacht hatte. Das ganze Auftreten dieses impertinenten Kerls. Er hatte sich kein Stück verändert. Sogar, was er am Leib trug, sah aus wie vom Tage ihrer ersten Begegnung. Hatte sie wirklich
seinen
Namen geflüstert, als sie wieder einmal geschlagen und gedemütigt in Kilians Bett gelegen hatte? Hatte sie wirklich, wirklich seine Lippen auf ihren gespürt?
«Bitte seien Sie still. Mir ist das alles zu viel.»
«Natürlich. Ich kann erahnen, was Sie da draußen durchgemacht haben.»
Meinte er seine Zeit als Kautschuksammler? Fast hätte sie aufgelacht. Er hatte ja nicht die leiseste Ahnung, dass die Sehnsucht sie plagte und nicht, wie er glaubte, die Erinnerung an schlimme Dinge. Schlimm war nur der Abschied von Ruben gewesen. Dass sie nicht wusste, ob er seinen letzten Kampf überlebt hatte und sie ihn jemals wiedersehen würde, und falls doch, wer er dann wäre: Aymáho kuarahy, der Geliebte, oder Ruben Wittstock, der Stiefsohn.
Vielleicht hatte sie dort draußen einiges ‹durchgemacht›.
Jetzt
tat sie es in jedem Falle.
Sie entwand sich da Silvas Griff und kletterte unter Deck. Hier blieb sie für den Rest der Fahrt; nicht nur, um ihm aus dem Weg zu gehen. Keinesfalls wollte sie den Dreck sehen, der den Rio Negro schon weit vor dem Hafen beschmutzte. Den Gestank riechen. Den Krach hören, den die Stadt schlug. Als der Kutter in den ruhigen Igarapé
do Tarumã-Açú
einbog, war es ihr Herz, das laut pochte. Ach, wäre es doch Nacht! Dann könnte sie sich in die
Casa no sol
schleichen, in ihr von Madonna Delma Gonçalves geerbtes Zimmer, und noch ein paar Stunden schinden, bis Kilian sie in die Arme schloss. Oder schlug, weil sie fortgelaufen war.
Aber dann musste sie doch über eine
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