Die Bucht des grünen Mondes
kostete es ihn alle Kraft. Aber der nahende Tod machte sie leicht.
Es gab Stämme, die alle ihre Toten so bestatteten. Die Yayasacu taten es nicht. Aber er kannte Geschichten, in denen es doch geschehen war. Wie Tiacca, die Jägerin, in das jenseitige Leben eingehen würde, wäre eine neue Geschichte – bekäme er Gelegenheit, sie zu erzählen, was er bezweifelte. Allein und verletzt, war er eine allzu leichte Beute für den Dschungel. Das Lager der
Anderen
verlassen zu haben, war bereits mehr, als er sich noch vom Leben erhoffen durfte.
Die Götter haben mir mit Amely den besten Teil meines Lebens geschenkt. Ich sollte damit zufrieden sein
.
Er suchte sich einen langen Ast, brach ihn und schritt an den Wassersaum des Igarapés. Mit der blättrigen Spitze wühlte er das brackige Wasser auf. Aufgeschreckt huschte der kleine Schwarm Piranhas hin und her. Dann warf er den Ast fort und ritzte mit der Messerklinge über seinen Unterarm. Das Blut zog rote Schlieren im Wasser.
Er kniete neben Tiacca und schob die Arme unter ihren federleichten Leib. «Mögest du in die jenseitige Welt eingehen, wo es fettes Wild zu erjagen und leuchtende Blumen zum Schmücken gibt», sagte er und warf sie ins Wasser.
In einiger Entfernung hockte er sich hin und kühlte im Wasser die müden Füße. Die Fische waren beschäftigt; es war jetzt nicht gefährlich. Aber was wäre, wenn er vollständig hineinginge, mit seinem blutbesudelten Leib und der verkrusteten Schusswunde an der Schulter, die so wie jene an der Hüfte wild pochte?
«Würdest du dich freuen, mich jetzt so zu sehen, To’anga?» Er legte den Kopf in den Nacken. «Oder würdest du dich an meine Seite setzen, damit wir gemeinsam über unser verlorenes Volk weinen?»
Stöhnend neigte er sich vor, um seiner ausgedörrten Kehle Linderung zu verschaffen. Müdigkeit wollte ihn überwältigen; so streckte er sich aus, wo er war, ohne sich umzusehen, ob er es wagen konnte. Es erschien ihm unwichtig.
1. Kapitel
Zum zweiten Mal erduldete sie eine ungewollte Fahrt nach Manaus. Und wie damals während der Atlantiküberfahrt brauchte sie eine lange Zeit, ihre Trauer so weit zu überwinden, dass sie ihre Kabine verließ. Diesmal war ihr die grüne Uferwand nicht fremd. Alles war wie das Echo einer Erinnerung: das Brüllen eines Affen, in den andere wie ein Chor einstimmten; die silbrige Gischt einer Rückenfinne; die plötzlichen Farbexplosionen aufflatternder Vögel. Stunde um Stunde verbrachte Amely an Deck. Um nichts auf der Welt wollte sie den Anblick jener zauberhaften Bucht verpassen, in der sie Ruben gepflegt hatte. Sie befürchtete, sie nicht wiederzuerkennen; konnte doch allein der Pegel des Flusses dafür sorgen, dass alles verändert schien. Unruhig lief sie an der Backbordseite auf und ab. Das Schiff war klein, ein unscheinbarer, räudiger Kahn, der nicht vermuten ließ, dass er zur Flotte eines der reichsten Kautschukbarone gehörte. Vielleicht gehörte er ja da Silva. Kilians ‹Linke Hand› kam über das Deck geschlendert, die Finger wie üblich in der Tasche seines Hemdes, auf der Suche nach seinem Zigarettenpäckchen.
Wie sehr hatte sie früher diesen Anblick herbeigesehnt … geliebt … ja, ihn geliebt. Felipe. Felipe, den Abenteurer. Draufgänger.
Lügner. Betrüger.
Seit Tagen, seit er auf dem Karren an ihrer Seite gesessen und ihrer Hüfte allzu nah gekommen war, lag ihr die Frage auf der Zunge, ob er nicht doch wusste, dass er nicht auf irgendeinen Indio geschossen hatte, sondern auf Ruben. Diese Frage jedoch konnte sie unmöglich stellen. Und wenn es so gewesen wäre, würde er dann nicht versuchen, seinerseits zu ergründen, was mit Ruben geschehen war? Amely kam zu dem Schluss, dass er ahnungslos sein musste.
Das Geräusch, als er sich eine Cabaña anzündete, und der Duft des Rauches schleuderte sie mehr als alles andere zurück in ihre Vergangenheit. O ja, sie erinnerte sich allzu gut an jenen Tag in der Stadt, als er sie im Dunkel eines fremden Korridors an sich gezogen und geküsst hatte. Wäre dieser eine Kuss nicht gewesen, könnte sie seine Gegenwart besser ertragen. So blieb ihr nur, ein, zwei Schritte seitwärts zu machen, als er neben sie trat.
«Sie sollten endlich etwas essen, Senhora Wittstock», sagte er zwischen zwei Zügen. «Oder wollen Sie, dass ich Ihrem Gatten eine dem Tode nahe Frau zurückbringe?»
Selbstverständlich willst du das nicht!
, dachte sie erbost.
Dir geht es doch nur darum, vor ihm gut dazustehen.
«Finden
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