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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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war; sie hörten, dass er Brasilianisch sprach; sie bemerkten Amulette an seiner Brust, die aus ihrer Kultur kamen – und trotzdem schafften sie es nicht, den richtigen Schluss zu ziehen. Behauptete er, der Sohn ihres Arbeitgebers zu sein, würden sie ihn dem Gespött preisgeben. Ganz so, wie Amely es gesagt hatte.
    Aber das war nicht der Grund, weshalb er nicht sagte, dass er Ruben Wittstock war. Sein Vater war ihm verhasst. Und da sollte er sich jetzt, da er in Not war, auf ihn berufen? Niemals.
    Er schnellte hoch, schlang die Arme um die Mitte des Mannes und warf ihn zu Boden. Seine Finger schlossen sich um den Hals und pressten. Schnell musste er sein, diesen einen zu töten, bevor sie ihm den Kopf von den Schultern schossen. Durch seinen Schädel fuhr ein scharfer Schmerz. Er sackte neben seinem Opfer nieder und wartete auf die endgültige Dunkelheit. Doch sie wollte noch immer nicht kommen; stattdessen stachen rote und gelbe Blitze in seine Augen. Die
Anderen
hatten ihn nicht erschossen, nur niedergeschlagen. An den Füßen schleiften sie ihn zu dem umgestürzten Baum, wo die anderen überlebenden Ava festgekettet waren. Ein Eisen schloss sich um seinen Fuß. Tritte gingen auf ihn nieder.
    Endlich ließ man ihn in Ruhe.
    Er wusste nicht, ob er schlief und träumte oder wachen Sinnes sah, wie Tiacca über den Platz gezerrt wurde. Ihre Hände waren in ihrem Rücken gebunden. Der Lauf einer Flinte schlug in ihre Kniekehlen, sodass ihr die Beine einknickten. Jemand zog sie am Haar hoch. Drei, vier Männer umringten sie. Von solchen Dingen hatte Diego erzählt, erinnerte sich Ruben, während er ihr Leiden vom Anfang bis zum bitteren Ende beobachtete. Als die Männer von ihr abließen, fiel sie zu Boden wie ein von einem Baum gerissener Ast.
    Der Tag schleppte sich mit quälender Langsamkeit. Die kräftigsten der Gefangenen wurden wieder in den Kanal getrieben, wo sie sich so langsam bewegten, dass ständig Geschrei und Peitschenhiebe auf sie niedergingen. Dämmerte er nicht dahin, blickte Ruben zu Tiacca, die immerhin lebte, da sie sich gelegentlich auf die andere Seite wälzte. Weder gab man ihr zu trinken, noch tötete man sie. Es schien, als sei sie einfach nicht da; nur die Geier bemerkten sie und umkreisten sie vorsichtig. Umsonst hoffte Ruben, dass sie irgendwann die Kraft fand, aufzustehen und zu fliehen. Auch er bekam kein Wasser. Sein Mund war trocken, seine Zunge irgendwann auf die doppelte Größe angewachsen. Es war auszuhalten. Er würde den Teufel tun, noch einmal die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Nichts ersehnte er jetzt mehr als die Nacht.
    Als die rasche Dämmerung über das geschundene Land fiel, legten sich die Arbeiter schlafen oder versammelten sich um ihre Kochfeuer und Petroleumlampen. Der Geruch von Gebratenem milderte den Gestank abgestandenen Blutes. Während des Tages hatte sich niemand um die Toten gekümmert; morgen würde man sicherlich verbrennen oder verscharren, was die Urubus übrig gelassen hatten. So auch ihn und Tiacca.
    Auf dem Stamm hockte einer der
Anderen
, ihm den Rücken zugewandt. Unübersehbar hing ihm der Schlüssel unter dem Hemd hervor. Der Mann vertraute darauf, dass ein Ava nicht wusste, was das war.
    Langsam, ohne den Blick von ihm zu nehmen, streifte Ruben seine Lendenschnüre ab. Sein Vorhaben gab ihm neue Kraft. Er entfernte störende Dreckklumpen, spannte die schmalste Schnur zwischen den Fäusten und stemmte sich hoch.
    Es war schnell und lautlos getan. Hinter dem Baum legte er den Toten nieder und nahm den Schlüssel an sich. Den Fehler, auch die anderen Ava befreien zu wollen, wiederholte er dieses Mal nicht. Ein gutes Messer fand sich in der Hosentasche des Ambue’y; dann kroch er dicht über dem Boden zu Tiacca. Rasch legte er eine Hand auf ihren Mund, damit sie nicht unbedacht schrie. Er rechnete damit, kein Leben mehr unter den Fingern zu spüren. Doch ihr schwacher Atem kitzelte seine Haut.
    «Bleib ganz ruhig», raunte er ihr zu. «Ich bin es, Aymáho.»
    Ihre Lippen, aufgerissen und blutverkrustet, bewegten sich. «Du … bist … Ruben. Das … hast du … gesagt.»
    «Ja. Ich bin Ruben. Und ich bringe dich zum Sterben in den Wald.»
    Sie wandte ihm den Kopf zu. Und hob mühsam die schweren Lider. In der Düsternis funkelten ihre Augen noch einmal wie die des Jaguars.
    «Verzeih mir … dass ich … so … hässlich zu ihr war», flüsterte sie.
    Er schnitt ihre Fesseln durch und hob sie auf die Arme. In seinem geschwächten Zustand

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