Die Bucht des grünen Mondes
Brandnarben stammten. Es waren keine Spritzer heißen Kautschuks, wie bei Felipe. Nein, sie wollte nichts darüber wissen. Sie wusste ohnedies genug. Zum ersten Mal seit langer Zeit kam ihr wieder die Ava-Frau in den Sinn, die in einem Café gebettelt hatte – damals zur Weihnachtszeit, an jenem Tag, als sie von da Silva geküsst worden war. Ihre Wangen erhitzten sich vor Scham. Nicht wegen des Kusses. Wegen der Frau.
«Ich nehme Ihre Almosen, Senhora», sagte er. «Ich kann es mir nicht leisten, stolz zu sein.»
Die Indianerin hatte die rüde Behandlung ohne jede Regung über sich ergehen lassen. Auch das Kind schien zu wissen, dass es nicht greinen durfte. Als er aufstand und seine Frau anstieß, sprang sie sofort auf und ging zur Tür, ohne sich die Zeit zu nehmen, den Stoff über die Schulter zu ziehen.
Auch Amely hatte sich erhoben. «Warten Sie, Senhor Trapo. Ich will Ihnen keine Almosen geben.» Die Worte kamen, ohne dass sie noch imstande war, zu entscheiden, wie gefährlich es war. Sie musste es jetzt tun, sie musste es auf diese Weise tun, denn eine Frau wie sie würde so bald nicht wieder die Gelegenheit bekommen, mit einem Mann wie ihm allein in einem Raum zu sein. «Ich möchte, dass Sie für mich arbeiten. Für viel Geld.
Sehr
viel Geld. Ich möchte, dass Sie für mich Kautschuksamen zur Küste schmuggeln.»
3. Kapitel
Kilian hatte den Spiegel nicht ersetzen lassen. Er hatte einen neuen Toilettentisch gekauft, und dieser war noch prunkvoller. Eine kitschige Schande in Gold. Amely betrachtete den Schnitt an der Hand, den sie sich versehentlich zugefügt hatte. Nur ein rosiger Strich erinnerte noch daran. Sie ließ den Morgenmantel über die Schultern gleiten. Ihr Körper duftete nach der teuren Haby-Badeseife und fühlte sich seidig an. Sie strich sich über die Haut, über die Brüste und den Bauch. Alles schien jetzt geschwollen. Oder täuschte sie sich? Nein, der straffe Bauch war einer deutlichen Rundung gewichen. Auf dem Toilettenhocker drehte sie sich zur Seite und drückte ihn heraus.
Stampfende Schritte. Sie schaffte es gerade noch, der Tür den Rücken zuzuwenden; schon stand Kilian in ihrem Zimmer. Hastig bedeckte sie ihre Schultern und schloss den Mantel. Früher hätte er es sich nicht nehmen lassen, heranzutreten und sie wieder zu entblößen. Schlimmer noch, er hätte sich über sie hergemacht. Heute spürte sie nur seinen Blick im Nacken.
«Fühlst du dich besser, Amely-Liebes?»
Er meinte wohl ihren Ausflug zur ‹Hütte› und dass er ihrem Gemüt hoffentlich auf die Beine geholfen habe. Es war gut, wenn er das glaubte.
«Ja», sagte sie.
Sei doch nicht so wortkarg, das ärgert ihn nur wieder
, ermahnte sie sich. Doch jede Konversation mit ihm kostete sie größte Überwindung.
Er wartete. Amely hielt sich einen Parfümflakon unter den Hals und drückte auf den Kautschukballon. Süßlicher Duft hüllte sie ein. «Es geht mir gut», sagte sie, da er immer noch keine Anstalten machte, wieder zu gehen.
«Es klingt aber nicht danach.»
Was kümmert dich das
.
«Du hast mir immer noch nicht erzählt, was du bei den Indios erlebt hast. Du denkst vielleicht, es interessiert mich nicht, aber das tut es sehr wohl.»
Natürlich, du willst Schauergeschichten über die Leute hören, von denen du glaubst, sie hätten deinen Sohn getötet
.
«Wenn du doch nur einmal darüber reden wolltest, was denn passiert ist mit dir!», donnerte er. Und schwieg wieder. Im Spiegel sah sie ihn händereibend hinter sie treten. Mit aufgesetzter Munterkeit klopfte er auf ihre Schulter. «Aber wir zeigen’s diesen Wilden, was? Ich lasse hundert von ihnen aufhängen, wie ich es dir schon einmal versprochen habe – jetzt hättest du wohl kein Mitleid mehr, stimmt’s?»
Sie sagte nichts.
«Was geschehen ist, ist geschehen! Also leg endlich dein miesepetriges Gesicht ab. Das passt doch gar nicht zum Karneval.» Er lachte gekünstelt. «Sonst gehe ich mit Consuela ins Theater, hörst du? Das gäbe eine schöne Klatschspalte im
Jornal
, haha!»
Endlich ging er wieder. An der Tür ermahnte er sie, sich zu sputen, und ließ sie allein. Amely legte sich das Korsett um, holte tief Luft und hakte die Schließe ein. Es klopfte; Bärbel trat ein.
«Ich helf schon, Frollein», sie schnürte es so kräftig im Rücken, dass Amely protestieren wollte. «Sie haben ja wieder ein bisschen draufgepackt, seit Sie zurück sind.»
«Nicht so fest. Wie war es in der Oper?», fragte Amely, um sie vom Zustand ihrer
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