Die Bucht des grünen Mondes
Taille abzulenken.
«Oper, was für ’ne Oper?», schnaufte Bärbel empört. «
La Bohème
wurde abgesagt. Wussten Sie das nicht? Der Tenor wollte doch nicht über den Großen Teich fahren, hieß es. So jung und schon solche Allüren!»
«Na so was.» Amely drehte sich auf dem Stuhl in Richtung des Bettes, wo ihre Abendgarderobe ausgebreitet lag. «Er wäre bestimmt gekommen, hätte er geahnt, welch dekadente Spektakel hier geboten werden. Glaubst du, du schaffst es, mir in das Kostüm zu helfen?»
«Alleene schon mal nich’, da muss ick die Schwarze Maria zu Hilfe holen.» Bärbel stemmte die Hände in die Seiten und blähte angesichts der schwierigen Aufgabe die Backen.
Kilian sprang aus dem Fahrersitz, eilte um den Motorwagen herum und reichte ihr die Hand. Amely ergriff sie, auch wenn ihr nicht danach war – sie wusste, was sich jetzt gehörte. Dem Automobil ihres Vaters zu entsteigen, war eine Abfolge bedachter Bewegungen, so schwer war ihr Kleid. Seinen enthusiastischen Briefen hatte sie entnommen, dass es
Wehmeyer Daidalus
hieß. Es war sagenhafte fünfzig Stundenkilometer schnell und ließ sich in weniger als acht Minuten starten. In den vollgestopften Straßen von Manaus durfte man nicht nach dem Nutzen solcher Spielerei fragen. Hauptsache, die Mannsleute waren zufrieden. Acht Automobile zählte Amely am Straßenrand vor dem Varieté-Theater. Mit einem Automobilistenmantel und Sportbrille ließ sich inzwischen nicht mehr glänzen.
Sämtliche Herren in Frack, mit Zylinder und Spazierstock, und sämtliche Frauen, mit glitzernden Juwelen überhäuft, wandten sich ihr zu. Amely hatte geglaubt, diesen Auftritt niemals durchzustehen. Aber es war ja gar nicht sie, die an Kilians Arm über das mit einem riesigen Teppich ausgelegte Trottoir schritt. Nicht sie hörte, wie er all die Kraftdroschkenmodelle aus Europa aufzählte und versicherte, dass der Wagen ihres Vaters der teuerste und schönste sei und die finanzielle Unterstützung lohnenswert. Nicht sie trug schwer an diesem Kleid, über das sie bald in der Zeitung lesen würde.
Die Kautschukbaronin kehrt von den Wilden zurück
…
Blitzlichtpulver flammte auf. Amely spürte den auffordernden Händedruck Kilians:
Lächle
. Sie tat es. Und wäre zugleich am liebsten im Boden versunken. Sie trug eine mit blauen, roten und gelben Federn geschmückte Haube, die ihr Gesicht wie ein Sonnenrad umrahmte. Ihr enganliegendes Kleid war mit dunkelblauen Tukanfedern besteckt, zwischen denen Diamanten glitzerten. Die nackten Arme zierten Bänder aus Affenfell, die Handgelenke goldene Kettchen, an denen Knochennadeln hingen. Ihre Stirn schmückte ein Reif, von dem in Gold gefasste Jaguarzähne bis über ihre Brauen pendelten. Ein goldenes Pektoral lag auf ihrer Brust: ein Inkagesicht mit Augen aus Smaragden und dunklen Obsidianen und Zähnen aus gesprenkelten Moosachaten. Am skandalösesten waren jedoch die bloßen Füße unter den kleinen Federkränzchen, die von goldenen Fußkettchen hingen.
Senhora Malva Ferreira kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
«Liebste Amely! Très fort! Wie machen Sie das nur? Zum zweiten Mal ist es Ihnen gelungen, mich auszustechen. Ich bin tief beeindruckt.»
Auf ihren Zähnen glänzten Rubine. Ihr Lächeln sah aus, als habe sie das Blut ihres Gatten getrunken. Über dem schwarzen Taftrock trug sie Frack und Krawatte, auf deren Knoten ein riesiger Diamant blinkte. Ein ausgestopftes weißes Seidenäffchen saß auf ihrem breitkrempigen Hut.
«Liebste Malva.» Amely schaffte es, fröhlich zu klingen. «Wie ich eben gesehen habe, sind Sie die einzige Frau in Manaus, die ihr Automobil selbst lenkt. Niemand kann Sie ausstechen.»
Sichtlich zufrieden über diese Schmeichelei schritt Malva um sie herum und betrachtete sie von oben bis unten. «Mich würde ja
urgente
interessieren, was Sie im Busch tatsächlich getragen haben. Es fällt mir schwer, Sie mir als Indienne vorzustellen, mit einem Affen auf der Schulter und Federn im Haar.»
«Bei den Ava tragen nur Männer Federn. Und niedlich findet man Affen dort nicht, weil sie Schrumpfköpfen ähneln und Essen stehlen. Man tötet und isst sie.»
Erschrocken holte Malva Luft. «C’est barbare! Das sind doch selber Tiere. Ava? Was bedeutet das?»
«In der Sprache der Yayasacu ‹Mensch›.»
Malva lachte schallend. «Hélas! Sie machen Furore mit dieser aufregenden Geschichte. Sie müssen uns alles erzählen, non, Philetus?»
«Unbedingt.» Der Gouverneur machte vor Amely einen
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