Die Bucht des grünen Mondes
könntest auch für ein wenig Proviant und Wasser sorgen, wenn du so nett wärst.»
Er glotzte sie an. Sie glaubte seine Gedanken zu lesen:
Die haben immer gesagt, sie ist verrückt. Und jetzt merk ich, es stimmt.
«Wissen Sie, Senhora», sagte er, und seine Augen glänzten. «Damals an Véspera do Ano Novo hab ich eine weiße Frau zum Igarapé laufen sehen. Als es dann hieß, Sie seien fort, hab ich mich gefragt, ob Sie das waren. Wenn Sie jetzt sagen, Sie waren’s, dann … dann tu ich das.»
Nun lächelte sie. «Ich war es.»
6. Kapitel
Zwei Monate zuvor
«Wie, da ist das Zeichen eines Geistes? Falls du verknotete Lianen meinst, so lass dir gesagt sein, dass die Natur dafür verantwortlich ist, und die gehört Gott dem Allmächtigen. Ihm allein, keinen anderen Göttern, denn die gibt es nicht. Verstehst du das, Cristobal? Ach, was reitet mich nur, dass ich das immer und immer wieder einem Heiden zu erklären versuche!»
«Es ist deine Christenpflicht, Padre José.»
«Unwissend und lernfaul wie ein Esel, aber naseweis daherreden!» Ein Klaps, wie von einer Ohrfeige. «Nimm die Machete und schneide das Lianengeflecht ab, wenn es dir im Weg ist. Du brauchst keine Angst zu haben, Cristobal, Pflanzen haben keinen Geist. Sprich es mir nach.»
«Pflanzen haben keinen Geist. Aber es ist ja gar keine Liane, Padre. Es ist wie
das
da.»
«Wie ein Kreuz?» Die Stimme, rau von reichlich Tabakgenuss, klang höchst erstaunt.
«Ja, Padre. Es ist ganz alt und vermodert.»
«Sicherlich zwei gekreuzte Baumstämme. Eine zufällige Laune der Natur.»
«Nein, es trägt doch den angenagelten Gott. Ganz wie bei diesem.»
«Angenagelter Gott! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht so respektlos reden sollst? Du musst dich irren. Hier gab es früher weit und breit keine Mission. Wahrscheinlich handelt es sich um die Überreste eines alten Götzenbildes. Also sieh zu, dass es wegkommt!»
«Ja, Padre José, ich werde es zu Brennholz schlagen.»
«Gut! Gut! Aber pass auf, dass du dir nicht die Axt in die Füße haust. Zuzutrauen wäre es dir.»
Ruben hoffte, die lästigen Stimmen würden verstummen. Was war das nur für ein eigenartiger Traum? Fremde Hände hatten ihm darin bittere und heiße Tränke eingeflößt. Seine glühende Stirn mit Wasser gekühlt, brennende Pasten auf seine Wunden aufgetragen. Er tastete danach. Schwerfällig bewegte sich seine Hand, wie es oft war in Träumen. Doch als er an den stinkenden Fingerspitzen roch, wurde ihm schlagartig klar, dass er wach war.
Dass er lebte.
Wie war das möglich? Wie konnte es sein, dass er verletzt im Wald überlebt hatte? War er wieder zum Geist geworden, eine Verwandlung, die bewirkte, von anderen Geistwesen gefährlicher Tiere und Pflanzen verschont zu werden? Er musste mit Rendapu darüber sprechen. Nein … Er ließ den schweren Arm fallen, dass er aufstöhnte. Der Kazike war ja längst tot. Dann mit Oa’poja. Aber auch der lebte nicht mehr. Stückweise kehrte die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse zurück. Die Schneise, die den Wald wie ein Axthieb verwundet hatte. Die Eisenbahn. Der Kampf gegen die
Anderen
. Tiaccas Tod. Der Abschied von Amely.
Amely.
Er war Ruben. Er war kein Geist.
Ich bin Ruben, der sein verzweifeltes, sinnloses Herumirren durch den Wald überlebt hat. Ruben, der einfach nicht sterben will
.
«Cristobal, warte! Um Gottes willen, warte! Ich will mir erst dein ‹Kreuz› ansehen. Und wehe dir, es ist keines. Dann …»
«Sei doch still», stöhnte Ruben. «Bei dem starken Arm Anhangás, das Geplapper ist unerträglich.»
«Bei … was, wie, Anhangá?» Die lästige Stimme näherte sich, wurde noch lauter. Rubens Kopf zuckte seitwärts, wollte ihr das schlechte Ohr hinhalten. Doch die Bewegung war so schwer wie jede andere. «Verzichte doch bitte darauf, deine Götter anzurufen», schnaubte die Stimme. «Da ich dein Leben gerettet habe, wirst du mir diesen Gefallen doch gerne tun, nicht wahr?»
Ruben zwang sich, die Lider zu heben. Ein hageres Gesicht, umrahmt von struppigen Haaren und einem ebensolchen Bart, der geradezu furchteinflößend wirkte, schwebte über ihm. Nun begriff er auch, dass er auf einer Hängematte zwischen zwei Baumstümpfen lag, über sich eine Plane aus grobgewebtem Rindenfasertuch. Ein Papagei hockte auf der Schulter des Mannes und wühlte mit dem Schnabel das haarige Gestrüpp auf, als suche er nach einer versteckten Frucht.
«Du hast mich gerettet?»
«So ist es. Ich bin Padre José,
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