Die Bucht des grünen Mondes
Bruder des Jesuitenordens, der berufen wurde, an diesem entlegenen Flecken das Evangelium zu verkünden.» Er sprach einen gut verständlichen Ava-Dialekt, jedoch gespickt mit fremd klingenden Wörtern. Ein breites Lächeln erschien auf den faltigen Zügen. «Und wie ist dein Name, Indio?»
«Ruben.»
«Ah, Ruben! Ein hebräischer Name: ‹Seht, es ist ein Sohn.› In der Bibel ist er der erste Sohn Jakobs. Ruben, der Joseph vor seinen Brüdern rettete. Ja, dieser Name kommt bei den Heiden oft vor.» Sein Lachen dröhnte. «So oft wie solche hellen Haare. Wie verschlägt es so einen ungewöhnlichen Mann mitten in den Urwald, an den Rand eines Flusslaufs, in dem er ersoffen wäre, hätte ich mich nicht in der Nähe herumgetrieben, um Honig zu sammeln? Woher du diese Schusswunden hast, würde mich ebenfalls interessieren. Aber du musst nicht sofort antworten, schließlich liegst du da schon eine ganze Weile nutzlos herum. Trink erst einmal etwas Stärkendes.»
Er entstöpselte eine Kalebasse, goss duftendes Guaraná in einen Becher und hielt ihn Ruben hin, der sich auf die Seite wälzte, die Zähne zusammenbiss und aufrichtete. Ein heftiges Stechen in der Schulter und ein milderes an der Hüfte wollten ihn auf die Matte zurückzwingen. Doch nach den ersten Schlucken des honigsüßen Getränks ebbte der Schmerz ab.
«Seit wann bin ich hier?»
«Ich fand dich vor drei Tagen. Wie lange du im Wald herumirrtest, nackt, wie dich Gott geschaffen hat, weiß ich natürlich nicht. Aber ich hoffe, sehr lange. Es würde mich ja doch ein wenig beunruhigen, wenn sich die Pistoleiros, die dich so zugerichtet haben, hier in der Nähe herumtrieben.»
Ruben sah an sich hinunter. Um seine Hüfte war ein leinenes Tuch geschlungen. «Ich bezweifle, dass du dir darum Sorgen machen musst. Wie weit sind wir von der Stadt entfernt?»
Padre José schnupperte an der Kalebasse und trank kurzerhand daraus. «Boa Vista liegt eine Tagesreise nördlich von hier. Das Postboot kommt in drei Tagen wieder, und wenn du etwas Ordentliches anziehst und diese scheußlichen Dinger entfernst, nimmt dich Amaral auch mit.» Er zupfte an seiner Ohrmuschel; der Papagei kniff zu. «Na, na, Madalena, was soll denn das?»
Es gab außer Manaus noch eine andere Stadt?
Sei nicht dumm, du weißt es doch, entsinne dich
, ermahnte sich Ruben. Er rieb sich das erhitzte Gesicht, um seiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Boa Vista lag am Weißen Fluss; also war er weit nach Norden gelaufen. Sehr weit. Sehr lang. Zehn Tage vielleicht? Er betrachtete seine Glieder. Bissspuren von Ameisen, Skorpionen und Größerem verrieten, dass er während dieser Zeit keineswegs unbehelligt geblieben war.
Manaus befand sich weit im Süden, und von Boa Vista hatte er als Junge gehört. Ebenso wie von Santarém, Belém und Macapá. Die Welt war voller großer Städte der Ambue’y. Sie waren die Herren der Welt, und er gehörte dazu.
Dieser Ort hier jedoch bestand aus nichts als fünf Hütten um ein Haus aus Stein geschart, zwischen denen ein schmaler Bach floss. Dahinter rauschte das Wasser eines breiteren Igarapés, und dem Wald hatte man ein wenig Boden abgerungen, auf dem Maniok und Mais wuchsen.
Ruben griff sich an die Brust. Aber seine Anhänger waren fort, und er berührte nur die Tukanfeder, Amelys Geschenk. Auf der Spitze des Hauses erhoben sich zwei gekreuzte Balken, eben so, wie er sie so häufig in Manaus gesehen hatte. Das Zeichen des Gottes der
Anderen
, wie er es sein ganzes Leben lang am Leib getragen hatte, ohne es zu wissen. Auch der halbwüchsige Ava, der einige Schritte entfernt stand und Ruben anstarrte, trug ein solches Kreuz um den Hals. Um seine schlaksigen Schultern flatterte ein viel zu weites, einstmals weißes Hemd, und seine Beine steckten in hochgekrempelten, ebenfalls zu großen Hosen.
«Nun steh nicht so müßig herum, Cristobal! Geh und haue den Götzen nieder!»
Der Junge schüttelte sein schulterlanges, glattes, mit Jenipapo zu tiefster Schwärze gefärbtes Haar. «Du wolltest doch erst nachsehen, ob es wirklich ein Götze ist, Padre José.»
«Ach ja, natürlich.» Padre José klopfte Ruben auf den Arm. «Ruh dich aus, mein Sohn, wir sind gleich zurück. Du musst dir keine Gedanken machen, dass dir hier jemand etwas tut. Wir hausen ganz allein hier, der Junge, Teresa, Madalena und ich.»
Hunger war ein gutes Zeichen, zeigte es doch, dass der Leib sich erholte und nach Kraft gierte. Ruben schaufelte den Brei aus Maniokmehl, Mais,
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