Die Bucht des grünen Mondes
brachte ich durch und gab ihm einen anständigen christlichen Namen. Er lief auch weg, wie früher so viele, aber kehrte wieder zurück, als er seinen Stamm nicht mehr fand.»
«Und Teresa?»
«Ach, Teresa. Gutes, altes Mädchen. Sitzt eigentlich immer draußen, aber sie hat Angst vor dir. Komm, gib ihr zu essen, dann mag sie dich ganz bestimmt.» Padre José füllte Eintopf aus dem brodelnden Feuerkessel in eine Schale und gab sie Ruben, dem nicht danach war, einen überflüssigen Schritt zu tun, aber er erhob sich und folgte José in eine der Hütten. Die war so erbärmlich wie der Herr des Dorfes: kaum mehr als ein palmblattgedeckter Unterstand, die Wände aus Stroh, Schilf und Lianen notdürftig gefertigt. In einer Hängematte lag eine winzige Gestalt, ganz von ihr umhüllt. Padre José schob den Stoff beiseite. Das Gesicht einer Greisin kam zum Vorschein. «Sieh mal, Teresa, Ruben bringt dir leckeren Eintopf. Ein paar Löffel wirst du doch schaffen, oder?»
Er half der zittrigen Frau, sich aufzurichten. Ihr zahnloses Lächeln war ängstlich, als sie mit beiden Händen nach der Schale griff. Haut, Knochen, vereinzelte Haare, die von ihrem ansonsten kahlen Schädel abstanden – aus mehr schien sie nicht mehr zu bestehen. José fütterte sie, was sie nach anfänglichem Widerwillen geschehen ließ. Der Brei quoll ihr aus dem Mund, während sie Ruben anstarrte. Als sie fertig war, strich José über die Furche auf ihrem Hinterkopf.
«Gut gemacht, altes Mädchen. Du siehst, er ist groß, aber harmlos.»
Zurück an der Feuerstelle, plagte Ruben die Schulter, und die wenigen Schritte hatten ihn ermattet. Padre José grub eine Flasche aus dem Erdboden und entkorkte sie.
«Ein bisschen Gin wird dir gut tun. Und mir auch», kurzerhand trank er und rülpste. «Die Malaria kann einen schließlich jederzeit erwischen.»
Er reichte Ruben die Flasche; der spuckte bereits den ersten Schluck aus und gab sie zurück.
«Du magst es nicht? Alle Indios, die ich kenne, mögen Gin; allerdings bekommt er ihnen nicht, sie gebärden sich dann wie wild. Aber du bist ja keiner, nicht wahr?»
«Ich kenne diesen Geschmack», erwiderte Ruben düster. Man konnte nicht Kilian Wittstocks Sohn sein, ohne ihn zu kennen. «Hast du die Frau auch gefunden?»
«Ich habe sie herumstreifenden Indios abgekauft, gegen ein ordentliches Messer. Sie wollten sie aussetzen. Sie sagten, ein umstürzender Baum habe sie getroffen. Ich hab’s ihnen geglaubt, schließlich stirbt man im Busch öfter an einem Baum, den zu viel Regenwasser fällt, als an einem gefährlichen Biss.»
«Und du meinst, sie hat es jetzt besser, statt in der jenseitigen Welt der Geister ihres Volkes zu sein?»
«Glaubst
du
, man solle jemanden zum Sterben dem Busch überlassen?» Padre Josés Blick, der über Ruben wanderte, sprach Bände. Plötzlich neigte er sich ihm zu; seine kratzige Stimme wurde verschwörerisch. «Komm schon, verrate mir, wer du bist. Ich kenne ja nun weiß Gott nicht alle Stämme in der Gegend, aber gäbe es einen mit solch hellen Haaren, hätte ich davon gehört. Du bist ein Mestize, stimmt’s? Aber wo auf der Welt, bei Gott, geht es denn auf den Köpfen so hell zu wie bei dir?»
«In Europa», murmelte Ruben. Hinter seiner Stirn und in der Schulter pochte das Blut.
«Du kommst aus der Alten Welt? Erstaunlich, erstaunlich …» Das Geplapper des Padres verklang hinter ihm, als er sich zurück auf seine Hängematte kämpfte.
Zeit besaß bei den Yayasacu keine große Bedeutung. Niemand hätte Kerben in einen Stab geschnitzt, um die Tage zu zählen, wie er es in seinen Geist-Monaten getan hatte. Nun, da er von seinen Leuten getrennt war, spürte er das Bedürfnis seines zivilisierten Erbes, die Zeit zu kennen. Ständig grübelte er darüber nach, wie lange er unterwegs gewesen war, wie lange es dauern würde, bis er kräftig genug wäre, weiterzuziehen. Und wie viel Zeit es brauchte, bis er den Rest der Yayasacu wiederfände. Er wanderte in den Wald, suchte Fasern, aus denen er sich Hüftschnüre drehte, und Pflanzenfarben, sie darin zu tränken.
Kaum war der dritte Tag verstrichen, beschwerte er sich bei Padre José, dass das Postboot nicht gekommen war.
«Morgen kommt es dann. Oder übermorgen, ganz bestimmt, mein Sohn. Jetzt geht’s ja wieder los, dass es ständig schüttet, und Amaral mag nicht so gerne nass werden.» Verständnislos schüttelte José das zottelige Haupt, während er zwischen dem Maniok kniete und Schlingpflanzen
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