Die Bucht des grünen Mondes
mir, ich war wohl zu forsch.» Sein Lächeln war gequält. Es musste der Verlust sein, der ihn so verbraucht wirken ließ. Ein massiger, hoch aufragender Mann, dessen blonde Haarsträhnen verschwitzt in die Stirn hingen. Er wischte sich die Hand an seiner Hose ab, als könne er so seinen Vorstoß ungeschehen machen. Plötzlich tat er ihr leid. Und sie, war sie nicht herzlos, dass sie sich so fürchterlich bedauerte, während Geros Tod kaum mehr als einen Tag zurücklag?
«Schon … gut», sagte Amely. «Morgen …» Sie sprach es nicht aus: Morgen gehörte sie ihm.
«Ja. Morgen. Ich freue mich darauf.» Er hob die Hände, kam auf sie zu. Die ihren kreuzte sie vor der Brust. Weiter zurück konnte sie nicht. So ließ sie steif über sich ergehen, dass er sie an den Schultern fasste und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. Sein Atem war der eines alten Mannes.
4. Kapitel
Die Sonne schien durch ihre Lider. Sofort war Amely wach. Sie setzte sich im Bett auf, in dem sie wider Erwarten tief und scheinbar traumlos geschlafen hatte. «Guten Morgen, neues Leben», murmelte sie. Eine ziemliche Unordnung hatte sie hinterlassen, als sie ihr Nachthemd aus dem Koffer gezerrt hatte. Sollte sich Bärbel ums Auspacken kümmern. Sie tapste zur Balkontür, die zu schließen sie vergessen hatte, und atmete die erträgliche Morgenluft ein. Von unten erklangen die gedämpften Stimmen des Personals. Die dienstbaren Geister waren schon beschäftigt, den Park zu pflegen. Als einer der Gärtner sie in ihrer unschicklichen Kleidung zu entdecken drohte, trat sie zurück. Der Schreibtisch weckte ihre Neugier. Vielleicht fand sich dort etwas, das an Madonna erinnerte. Ein Tagebuch möglicherweise, das ihr helfen könnte, Kilian zu enträtseln? Sehr unwahrscheinlich. Aber zumindest Briefpapier und Tinte würden bestimmt darin sein. Sie öffnete die Schublade, entdeckte schönes Büttenpapier und suchte nach einem Füllfederhalter. Ihre Finger ertasteten einen harten Gegenstand.
Amely unterdrückte einen Schrei, stieß die Lade zu. Nach einigen Schrecksekunden zog sie sie langsam wieder auf.
Tatsächlich, sie hatte sich nicht getäuscht. Da lag ein Revolver. Und eine unscheinbare Schachtel, die zweifellos Patronen enthielt. Amely atmete tief durch. Daheim in Berlin war eine Waffe im Schreibtisch eines Mannes durchaus nichts Ungewöhnliches, das war ja schließlich nicht verboten. Vielleicht gehörte so etwas hier in Manaus auch bei der Dame des Hauses zum guten Ton? Wie hatte Herr Oliveira gesagt?
Brasilien hat seine eigenen Gesetze. Und Manaus erst recht.
Nun denn.
Amely fand einen Füllfederhalter, nahm Papier und Tinte heraus. Bald darauf hatte sie zwei Briefe verfasst, einen höflichen an den Vater und einen leidenschaftlichen an Julius. Nein, nichts von verlorener Liebe hatte sie ihm vorgejammert, die hatte sie aus ihrem Herzen verbannt. Aber wie heiß und schrecklich alles hier war … Der Brief klang erbärmlich. Bevor sie es sich anders überlegte, stopfte sie die Briefe in Umschläge.
Sie wusch sich am Toilettentisch und zog die seidenen Beinkleider und das baumwollene Unterkleid an. Beim Korsett half ihr gewöhnlich Bärbel, aber wo steckte die? Am Bett war eine Klingelschnur angebracht. Amely zog daran. Kurz darauf dröhnten draußen Schritte. Es klopfte, dass die Tür wackelte.
Auf ihr «Bitte» kam die Schwarze Maria wie eine Brandung herein. «Gut Morgen, Sinhazinha!», schallte es Amely entgegen. «Was zu frühstück wolle?»
«Was – was gibt es denn so für gewöhnlich?», stotterte sie; sie war drauf und dran, bis auf den Balkon zurückzuweichen. Sofort war die Frau hinter ihr und begann ihr Korsett so fest zu schnüren, dass es ihr den Atem raubte.
«Alles, was Sinhazinha wolle! Deutsch Mahlzeit, viele Brot. Oder ich mach Feijoada warm von gestern. Macht stark! Dona Amalie sehr dünn. Senhor Wittstock liebt Feijoada. Aber macht Fürze.»
Mühsam befreite sich Amely aus ihrem Griff. Auf diese Frau musste jede andere dürr wirken. «Brot und Butter wären nett. Wenn Sie mir bitte ins Kleid helfen würden?»
Das tat Maria mit gewohnt kräftigem Zupacken. Als Amely in ihre Pantoffeln schlüpfen wollte, stieß sie diese mit dem Fuß beiseite.
«Nicht einfach so! Sinhazinha!» Schnaufend bückte sich die Negerin und schüttelte die Pantoffeln aus. Etwas Schillerndes, Zappelndes fiel heraus. Aufkreischend machte Amely einen Satz zurück.
«Ist harmlos, mache weg.» Maria schlug den Pantoffel auf das riesige Insekt
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