Die Bucht des grünen Mondes
nieder, dass es knirschte. Aus ihrer Schürze zog sie ein Tuch, ließ es darin verschwinden und wischte die Sohle sauber. «Aber kann böse sein – Skorpion schlafe gern in Schuhe. Prüfen immer! Ich mache Frühstück.»
«Danke.» Amely schüttelte den Kopf. Ihr war der Appetit gründlich vergangen.
«Müsse essen, Sinhazinha.»
«Später. Ich möchte gerne zum Postamt. Können Sie mir erklären, wie ich dorthin komme?»
«Postamt?», wiederholte Maria verständnislos, hob die Hände und schüttelte sie. «Brauche nicht Post, erst esse, bitte!»
Sie rauschte hinaus, bevor Amely sie bitten konnte, ihr in die Stiefeletten zu helfen. So plagte sie sich trotz des eng sitzenden Korsetts, die Schuhe selbst anzuziehen und zu schnüren. Einen ihrer Sonnenhüte hatte sie indes rasch festgesteckt, den Schirm über den Arm gehängt, und so marschierte sie ins Untergeschoss. Herrn Oliveiras Bureau war leicht zu finden, denn sein Name stand daran. Sie klopfte und trat auf seinen Ruf hin ein. Er ruckte von seinem mahagonifarbenen Schreibtisch hoch und machte einen Diener, während er den Hörer eines Telephonapparates ans Ohr hielt. Erstaunlich! Wehmütig dachte sie daran, dass Julius das Telephon im Kontor immer misstrauisch umschlichen hatte, ohne es je zu berühren.
Herr Oliveira hängte den Hörer an den Holzkasten. Freundlich lächelte er, als sie auf ihn zuschritt. «Was kann ich für Sie tun?»
«Wenn Sie mir bitte helfen würden? Ich möchte zum Postamt.»
«Zum Postamt? Darf ich fragen, warum?»
Weshalb taten alle so, als sei sie dumm und hilflos, kamen aber selbst nicht auf die naheliegende Antwort? «Ich möchte Briefe aufgeben», erwiderte sie ungeduldig.
«Aber Senhorita Wehmeyer», er deutete auf ein Körbchen, in dem sich bereits Briefe stapelten. Er wirkte erfreut, ihr so einfach helfen zu können. «Sie brauchen die Briefe nur mir zu geben, ich kümmere mich sofort darum.»
«Das ist freundlich, aber ich muss selbst zurechtkommen. Kann man denn hier – mit entsprechender Begleitung natürlich – nicht einfach zum Postamt gehen, wenn einem danach ist?»
Er schluckte, offenbar überrascht von so viel Ungeduld. «Senhorita, es wäre wirklich besser, überließen Sie das mir.»
«Gut. Ich überlege es mir. Danke.»
Sie ließ ihn stehen und marschierte aus dem Haus. Die morgendliche Luft war, obwohl die Nacht erst eine halbe Stunde vergangen war, warm und dick. Aus ihrem Handtäschchen zog sie ihren Fächer und fuchtelte damit vor ihrem Gesicht herum. Immerhin schien sie sich an dieses Klima inzwischen ein klein wenig gewöhnt zu haben. Wie jeden Tag versuchte sie sich daran zu erinnern, dass sie ungewöhnlich heiße Sommer in Berlin sehr gemocht hatte. Da kam eine schwarzglänzende Victoria-Kalesche durch das schmiedeeiserne Tor. Zwei prächtige, schweißüberströmte Wallache zogen sie über den breiten, von Palmen gesäumten Kiesweg, der sich vor einer Rasenfläche, in deren Mitte ein Brunnen sprudelte, teilte. Amely sah zu, wie der Junge auf dem Kutschbock in einen der vielen Seitenwege einbog. Durch das allgegenwärtige Grün konnte sie ein Gebäude erkennen, das ein Stall oder ein Kutschenhaus sein mochte.
Also dann!
, sprach sie sich Mut zu.
«Ich möchte zum Postamt. Können Sie mich in die Stadt fahren?», fragte sie den jungen Mann, als sie im Dunkel des Kutschenhauses stand. Noch hatte er die Pferde nicht abgeschirrt. Hastig zerrte er seine Mütze herunter und machte einen Diener.
«Ich … nicht gut … versteh das Sprache», murmelte er.
«Ich möchte bitte zum …» Amely holte ihr Wörterbuch hervor. Postamt, Postamt. «A agência de correio. Por favor.»
Er klappte den Mund auf, drehte seine Mütze. «Sim, sim, Senhora», stotterte er schließlich. Mit einer Bürste fegte er die Polster sauber und hielt ihr den geöffneten Schlag auf. Zögernd stieg Amely hinein. Wenn sie nun eine solch grausige Szene wie in Macapá zu Gesicht bekam? Wäre es nicht besser, wenigstens Bärbel mitzunehmen? Aber die war ja noch konfuser und wäre ihr keine Hilfe.
Doch dann ruckte die Kalesche schon an, und auch wenn die Pferde schnaubten und mit ihren Schweifen nach Mücken schlugen und die Sonnenglut unbarmherzig in den Wagen schien, fühlte sich Amely großartig. Sie öffnete ihren Sonnenschirm. Als das Gefährt am Brunnen vorbeifuhr, rechnete sie mit dem Auftauchen des allgegenwärtigen Herrn Oliveira, der entsetzt dem Gespann in die Zügel fiel. Doch er blieb fort. Erleichtert atmete sie
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