Die Bucht des grünen Mondes
Sie mich jetzt bitte zurück ans Ufer bringen.»
«Bisher haben Sie nur ein bisschen Dreck gesehen, und Elend, nun ja … Als ich zuletzt hier war, stieß ich mit dem Ruder gegen die Leiche eines Indios.»
«Warum belästigen Sie mich mit solchen Dingen?» Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, und drückte die Hand gegen ihren leeren Bauch. «Mir ist übel.»
Sie schloss die Augen, wollte nichts mehr sehen und hören. Eigenartig, mit einem Mal wehten ihr betörende Düfte in die Nase – Düfte, die sie glauben ließen, sie befinde sich auf dem sommerlichen Wannsee und jemand packe einen Korb mit Brötchen und Hähnchenschenkeln aus. Sie versuchte sich vorzustellen, es sei Julius, der das Plätschern der Ruderblätter im Wasser erzeugte – nur um überrascht zu erkennen, dass sie dieses Bild nicht reizte. Stattdessen öffnete sie die Lider um einen winzigen Spalt und beobachtete Felipe da Silva, wie er konzentriert ruderte und dabei selbst in Gedanken versunken schien.
Als er sie ansah, riss sie ertappt die Augen auf. Sie verwünschte ihr Hiersein. Wenn Kilian zu Ohren kam, was sie da tat? Gleich am ersten Tag? Nun, sie mit Schimpf und Schande nach Berlin zurückschicken würde er bedauerlicherweise nicht.
Da Silva hob zwei Finger. «Dois cafézinho!»
Eine Piroge näherte sich. Staunend sah Amely zu, wie eine Frau aus einer verbeulten Kanne schwarzes Gebräu in zwei Kokosnussschalen goss und herüberreichte, dazu eine dritte Schale mit Zucker. Dem Goldton ihrer Haut nach besaß sie indianisches Blut. Da Silva süßte großzügig den Kaffee, reichte Amely eine der Schalen und entlohnte die Mestizin, die ihr Zuckerschälchen an sich nahm und weiterdümpelte. Ein ganzes Stück hatten sie sich von dem schlimmsten Gewimmel entfernt. Auch abseits des Hafens war der Fluss belebt, aber die größeren Schiffe fuhren weiter draußen, und Arbeiter, auf die Gebrüll und Schläge niedergingen, gab es hier nicht. Die Häuser am Ufer waren eher Hütten, dicht aneinandergedrängt und mit Wäscheleinen verbunden. Keine feine Gegend, aber wohl eine halbwegs friedliche.
Da Silva schnippte in Richtung eines anderen Bootes, das den Duft von Backwaren verströmte. Tief sog Amely den Atem ein, um endlich einmal etwas Angenehmes zu riechen. Er kaufte ein längliches Brot und brach es in zwei Hälften. «Mit Brot soll man eine Deutsche ja nicht beeindrucken können.» Er reichte ihr ein Stück. «Aber versuchen Sie es.»
Vorsichtig biss Amely hinein. Sie verkniff sich die Frage, was die schwarzen Kügelchen waren, die annähernd nach Korinthen aussahen, aber würzig schmeckten. Ihr Magen erinnerte sie schmerzhaft daran, Marias Frühstück ausgeschlagen zu haben.
«Was ist das dort?» Sie deutete auf Teigtaschen, die in einer Pfanne auf dem Boot brutzelten.
«Nichts für Sie.» Da Silva griff nach den Rudern und hielt inne, da sie ihn zornig anstarrte. «Verzeihung, Senhorita. Aber Ihr preußischer Magen muss sich erst an hiesige Gegebenheiten gewöhnen. Oder wollen Sie heute Abend auf Ihrer eigenen Feier fehlen?»
Wie so oft blieb sie ihm eine schlagfertige Antwort schuldig. «Nein. Es wäre wohl besser, zurückzukehren.» Ob er wohl da sein würde? Vermutlich nicht; bei ihm würde es wohl an einem ordentlichen Anzug scheitern. Hoffentlich! Allein der Gedanke missfiel ihr, dass Kilian in seiner Gegenwart ihre Hand ergriff …
«Wie kamen Sie eigentlich auf die Gehaltsliste Herrn Wittstocks?», entfuhr es ihr. «Ich meine …»
«Sie meinen, einen wie mich kann man nur auf der Straße aufgelesen haben, und Ihr Gemahl ist nicht der Mann, der Almosen an Bettler verteilt.»
«Nun ja. So etwas ist mir durch den Kopf gegangen.»
«Wissen Sie, was ein Seringuero ist?»
Sie überlegte schnell. «Ein Kautschuksammler?»
«Ja. Die elendesten Gestalten auf Gottes Erde. Sie müssen das Zeug aus dem Dschungel holen, das für Leute wie Ihren Gatten den Reichtum auf Erden bedeutet.» Er sprach bedächtig, als überlege er, wie viel sie darüber schon wusste. Nun, wenig. Gebannt beobachtete sie, wie sich die Armmuskeln unter seinen feuchten Hemdsärmeln abzeichneten, während er kraftvoll ruderte. «Viele wirbt man in Belém an, wo sich die Tagelöhner gegenseitig auf den Füßen stehen, um Arbeit zu ergattern, egal, wie scheußlich sie ist. Man gibt ihnen ein Handgeld, reichlich Alkohol und Frauen.»
«Frauen?»
«Käufliche Damen, wenn Ihnen das verständlicher ist. Zwei Wochen kriegen die Dummköpfe Zeit, sich ans
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