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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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und das ist Zwang.»
    Er griff nach dem
Jornal do Manaos
auf dem Tisch und wedelte aufgebracht damit herum. Bei der Rückkehr von Amelys etwas verunglücktem Ausflug hatte da Silva urplötzlich die Kalesche auf den Bürgersteig gelenkt, dass die Passanten zur Seite gesprungen waren. Gottlob hatte Amely dieses Mal anständig auf dem hinteren Sitz gesessen; andernfalls wäre sie womöglich vom Kutschbock gefallen. Da Silva hatte von einem Aushang ein Exemplar der Tageszeitung gerissen, ohne sich um das Gezeter des Ladeninhabers zu scheren. Einfach angefahren war er, noch während des Lesens. Es war Amely gewesen, die hastig in ihrem Täschchen gewühlt und dem Verkäufer einen Real zugeworfen hatte. Inzwischen wusste sie, was Kilian so empörte: ein leidenschaftlicher Artikel des Präsidenten Prudente de Morais e Barros, in dem dieser die Kautschukbarone und Großgrundbesitzer aufforderte, endlich ihre Sklaven freizulassen.
    Kilian wischte sich die Haare aus der Stirn. «Und die sogenannten Abolitionisten sind genauso dumm! Reißen für humanistische Ideale den Mund auf, aber jammern herzzerreißend, wenn dann die Preise steigen.» Aufstöhnend lehnte er sich zurück. Das Gespräch über die
Lei Áurea
, das Goldene Gesetz, zog sich bereits seit einer Stunde hin. Die Damen langweilten sich fächerschwingend, während die Herren über die Abschaffung der Sklaverei debattierten, die bereits seit acht Jahren beschlossen, aber keineswegs überall durchgesetzt war. Wie in anscheinend jedem Bereich des brasilianischen Lebens hatte es auch hier nur genügend Geld gebraucht, das man in Aktenkoffern über die richtigen Tische schob, um schalten und walten zu dürfen wie seit jeher.
    Was nun offenbar nicht mehr genügte. Klein und braungebrannt, machte der Gouverneur einen harmlosen Eindruck, doch er war frisch im Amt und ehrgeizig, hatte Amely läuten hören. «Ich bekomme Druck aus Rio de Janeiro», erklärte Philetus Pires Ferreira. «Da hilft kein Geld mehr, und wenn Sie es dem Präsidenten überschütten würden, dass kein Härchen mehr von ihm zu sehen wäre.»
    «Warum?» Kilian warf die Hände hoch. «Warum?»
    «Ach.» Ferreira winkte mit dem geleerten Glas nach dem kleinen Miguel, der gemeinsam mit Consuela half, dem Durst der Gäste abzuhelfen. «Er möchte Brasiliens Ansehen erhöhen. Eine Nation schaffen, wie er sagt. Wir gelten ja schon als ein bisschen rückständig. Was soll man sich auch an alte Zöpfe klammern? Die Kaffeebarone kommen jedenfalls inzwischen ganz gut ohne Sklaven zurecht.»
    «Es ist erst ein paar Jahre her, dass die Großgrundbesitzer die Monarchie vom Thron holten, weil Prinzessin Isabel die
Lei Áurea
unterschrieb», schnaubte Don Germino Garrido y Otero. Auch er war einer der Herren über den Kautschuk. Seine Leibesfülle war so beeindruckend wie sein Name; er hatte sich noch kein einziges Mal von dem Kanapee erhoben, das er allein beanspruchte. Seine Gattin, die in einem zierlichen Stuhl neben ihm saß, warf Amely einen leidenden Blick zu.
    Die Unterhaltung fand in einer abenteuerlichen Mischung aus brasilianischem Portugiesisch, Französisch, das in den höheren Kreisen Manaus’ als chic galt, und einigen Brocken Deutsch statt. Amely war froh, im Französischunterricht der Schule der Höheren Töchter gut aufgepasst zu haben, ihr Portugiesisch jedoch reichte lediglich für das Gröbste. Allerdings war sie dieses Themas inzwischen müde.
    «Das ist der Lauf der Zeit, und die wird immer schnelllebiger, also erfreuen wir uns am Fortschritt!», rief Ferreira. «Bald wird Manaus Elektrizität haben, früher noch als London! Eine elektrische Straßenbahn! Wir haben fast dreihundert Telephonanschlüsse, ebenso viele wie Madrid …»
    «Entschuldigen Sie mich für einen Augenblick», murmelte Amely, erhob sich und wandte sich einer der geöffneten Verandatüren zu. Durch den Gazevorhang trat sie in die von Petroleumlampen erhellte Nacht hinaus. Nur rasch nach Luft schnappen … Wenn sie sich doch jetzt einfach davonstehlen könnte, so wie am Morgen.
    Zigarrenrauch drang in ihre Nase.
    Felipe da Silva schlenderte in ihren Lichtkreis. «Was machen Sie denn hier draußen?», zischte sie. Fiel ihr nichts Dümmeres ein? Sie war schließlich auch hier.
    «Die Schwarze Maria guckt schon den ganzen Abend böse, weil drinnen gequalmt wird», erwiderte er. «Ich bin nur vor ihrem Zorn geflüchtet. Und Sie?»
    «Ach …» Amely ließ die Schultern hängen. Dieses eine Wort musste genügen.
    Sie wollte

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