Die Bucht des grünen Mondes
Huren und Saufen zu gewöhnen. Und danach, glauben Sie mir, unterschreibt ein Mann alles, nur um es sich weiter leisten zu können. Lesen kann sowieso kaum einer. Dann geht’s auf Schiffe, auf denen man schon vom Anschauen der eingekoteten Hängematten krank wird. Wer fiebert, wird ausgesetzt …»
«Sie schweifen schon wieder in scheußliche Gefilde ab», unterbrach sie ihn pikiert.
«Die Reise muss man selbst bezahlen», fuhr er unbeirrt in diesem harten Ton fort, der verriet, dass er das alles am eigenen Leibe erfahren hatte. «Den ersten Lohn sieht man aber erst nach ein paar Monaten. Frauen kriegt man nie wieder zu Gesicht. Im Wald wird man mit einem Eimer und einer Machete ausgeschickt. Noch in der Nacht. Dann fließt der Saft besser; außerdem liegen die Bäume so weit auseinander, dass man sein Pensum anders nicht schafft. Es reicht nur für ein paar Stunden Schlaf täglich.»
«Ich dachte, der Kautschukwald sei die Gegend hinter der ‹Hütte›?»
«Ja, solche Wäldchen gibt es. Die Kautschukbarone bauen sich gern kleine Villen dort, um den Arbeitern beim Schuften zuzusehen. Aber die machen nur einen kleinen Teil der Ausbeute aus. Ein richtiger Seringuero muss ein Gebiet von mehreren Quadratkilometern ablaufen, um ein paar verstreute Bäume ausbeuten zu können. Es ist eine Schinderei, die man nur dann ein paar Jahre aushält, wenn man es irgendwie schafft, Malaria, Schlangenbissen, Krokodilen und mordwütigen Konkurrenten aus dem Weg zu gehen. Aber selbst dann stirbt man irgendwann am Wahnsinn oder weil man sich totsäuft. Viele bringen sich selber um.»
«Nur Sie haben dem Schicksal die kalte Schulter gezeigt und sind entkommen», sagte sie spitz. O ja, auch sie schaffte es gelegentlich, spöttisch zu sein.
Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. Gleich würde er auf die übliche impertinente Art grinsen. Doch dann wurde er wieder ernst. «Es gibt nur zwei Möglichkeiten, dort herauszukommen. Entweder man stolpert über ein bisschen Gold oder Edelsteine, oder man widersteht dem Alkohol und arbeitet sich hoch. Zumindest träumt man davon; gelingen tut beides so gut wie nie. Man ist ja auf sich gestellt da draußen, niemals trifft man andere Männer als die, die in ihren Pirogen die Flussläufe entlangfahren, um die Ausbeute einzusammeln.»
Er hob die Ruder ins Boot, lehnte sich zurück und schöpfte Atem. Dann zog er sein Zigarettenpäckchen aus der Hemdtasche. Natürlich dachte er nicht daran, sie um Erlaubnis zu bitten. Demonstrativ wedelte sie mit dem Fächer vor ihrem Gesicht herum, als er den Qualm ausstieß. «Die Kautschukbarone jedenfalls verschlägt es nicht in die Wälder – in die
richtigen
Wälder. Bestenfalls zur Jagd. Wittstock allerdings tauchte dort auf. Wissen Sie, weshalb?»
«Es klingt, als müsste ich es wissen.»
Sein Blick wurde ernst. «Ruben.»
«Ruben? Ich weiß nur, dass er umgebracht wurde …»
«Der Junge hatte sich unbemerkt zu weit in den Wald vorgewagt. Und kehrte nicht zurück. Wittstock suchte ihn in den Wäldern am Fluss. Er legte zufällig zur gleichen Zeit an einer der Caboclohütten an, als ich meinen Kautschuk dort ablieferte. Ich bekam die ganze Geschichte mit und witterte meine Chance. Ich säuberte mich so gut es ging, spülte meinen Mund mit Zitrone aus und kniete vor ihm.»
«Sie taten
was
?»
«Ja, das klingt verrückt, nicht wahr? Aber ich sagte ja, da draußen wird man verrückt – auch dann, wenn man sich nicht zu Tode schuftet. Ich glaube, die einzigen Menschen, die im Urwald nicht ihren Verstand verlieren, sind die Indios. Wie auch immer, ich bot mich an, seinen Sohn zu finden. Und ich wusste, ich
musste
ihn finden, um aus dem Elend herauszukommen.»
O Gott
. Amely umklammerte die Bootswand. «Sie haben Ruben gefunden?»
«Mhm.» Er sog an der Zigarette. Die Glut hatte fast seine Finger erreicht. Er schien es nicht zu spüren. «Es dauerte Tage. Ein Mestize brachte mich auf die richtige Spur. Ich entdeckte zwei Indianer. Sie hatten Ruben bei sich – entführt wahrscheinlich wegen seiner blonden Haare. Die sind ja wie Elstern, alles müssen sie haben, was nur irgendwie glitzert. Ich kam gerade dazu, wie ihn einer erschlug und skalpierte. Ich stürzte mich leider zu spät dazwischen.»
Angespannt lauschte Amely. Es klang wie aus einem Karl-May-Roman. So unwirklich!
«Den, der Ruben umbrachte, habe ich sofort erschossen. Gegen den anderen musste ich mich allerdings mit den Fäusten wehren – Ladehemmung. Das liegt an der feuchten
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