Die Bucht des grünen Mondes
ja nun auch wieder nicht. Merken Sie, dass unsere Kaleschenräder kaum zu hören sind? Im Pflaster rund um die Oper wurde Kautschuk verarbeitet. Es schluckt störende Geräusche.»
«Wirklich beeindruckend», grinste er. «Wusste ich’s doch, dass Sie voller nutzlosem Wissen stecken.»
Sie hatte gelogen – dieses Gebäude
war
ihr wichtig. Es war protzig, fehl am Platz, ein Abbild der Dekadenz der Kautschukbarone, die Manaus so reich gemacht hatten. Es hieß, es sei nach dem Vorbild der Pariser Oper entworfen. Nun, die Grand Opera de Paris kannte Amely von Postkarten, und an deren Schönheit und Eleganz reichte das Teatro Amazonas zumindest äußerlich nicht heran.
Liebste Amely, ich weiß, dass du die Oper liebst. Hier wird derzeit das schönste Operntheater der Welt gebaut. Hier, mitten in der Wildnis. Man wird es mit La Gioconda einweihen. Freu dich darauf
.
Da hatte er ja doch etwas übertrieben. Wirklich in der Wildnis stand es auch nicht; jedenfalls wurde es nicht vom Urwald umschlossen, aus dem jederzeit bogenschießende Indianer stürmen konnten. Aber es war die sichtbare, greifbare Belohnung für ihre Bereitschaft, die ungeliebte Ehe auf sich zu nehmen. Die Premiere von
La Gioconda
an Véspera do Ano Novo, wie man Silvester hier nannte, war das Ziel. Bis dahin würde sie es geschafft haben, diese fremde Kultur zu meistern, Kilian zu mögen und mit ihrem neuen Dasein wenn schon nicht glücklich, so doch zufrieden zu sein.
Freu dich darauf.
Sie war entschlossen. Nicht einmal die Erinnerung an seine Hand auf ihrer bloßen Haut störte in diesem Augenblick.
«Ich möchte noch mehr sehen», rief sie. «Zeigen Sie mir – nun, was immer Sie wollen.» Beinahe hätte sie da Silva an der Schulter gerüttelt. Oh, hatte ihre plötzliche gute Laune womöglich etwas mit seiner Anwesenheit zu tun? Was für ein Gedanke! Nein, nein, ihre gute Laune half nur, ihn zu ertragen.
Da Silva lenkte die Kalesche zu einer Uferpromenade. Hölzerne Treppen führten hinab zum Hafen. Amely blickte über einen Wald von Masten. An den Anlegestegen, die in den Rio Negro ragten, hatte eine unüberschaubare Zahl von Dampfschiffen, kleinen überdachten Pirogen, einfachen Ruderbooten und sogar Flößen festgemacht. Zerlumpte Kinder drängelten, wenn ein Boot anlegte, als erhofften sie sich eine Süßigkeit. Auf ihren Rücken landeten schwere Säcke und Kisten, die sie auf den Kai schleppten. Die Luft war erfüllt von Geschrei und dem Gestank nach Fisch und Abfällen. Matrosen schäkerten mit jungen Frauen; Händler hockten an Fisch- und Gemüseständen und hackten mit rostigen Messern auf ihre Ware ein. Überall lungerten Bettler, sogar Krüppel, dazu Affen, Katzen, Hunde, Möwen. Dazwischen spazierte die Miliz und fischte den ein oder anderen aus dem Getümmel, um dessen Habe zu kontrollieren.
Was sollte sie hier? Amely beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und beschwerte sich auch nicht, als da Silva anhielt, heraussprang und ihr die Hand hinhielt, um ihr beim Hinuntersteigen zu helfen. Er winkte zwei Jungen heran und warf ihnen ein paar Réis zu, damit sie auf das Gespann achteten. Dann ging es eine der wackligen Treppen hinunter. Hielte er nicht ihre Hand, wäre sie längst gefallen, so oft stieß jemand gegen sie.
Längst reute es sie, ihm die Zügel überlassen zu haben. Aber ihr Stolz verbot ihr, schon wieder zu jammern. Er wusste hoffentlich, was er tat.
Er mietete ein Ruderboot.
«Eine Bootspartie? Haben Sie den Verstand verloren?»
Ihr Ruf verhallte im Trubel. Ehe sie es sich versah, stand sie in einem durchaus nicht vertrauenerweckenden Boot, dessen ursprünglichen Farbanstrich man nur noch erahnen konnte. Sie strich sich das Kleid über dem Gesäß glatt und ließ sich vorsichtig auf der knarrenden Sitzbank nieder.
Ihr gegenüber hockte er sich hin, rückte seinen Schlapphut zurecht und ergriff die Riemen. Amely bezweifelte, dass sich in diesem trübschwarzen Wasser voller Unrat ein Boot vorwärtsbewegen ließe. Trieb da nicht ein totes Schwein vorbei? Sicherlich nur ein verrottetes Stück Holz.
«Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, mich auf den Fluss zu nötigen!», herrschte sie ihn an. Ihr lag die Frage auf der Zunge, was wohl Herr Wittstock davon halten würde, wüsste er davon.
«Sie wollten Manaus sehen», erwiderte er gelassen. «Der bunte Prunk da, der Ihnen so gefällt, ist nur ein Teil davon.»
«Ich sehe nur Dreck und Elend. Danke, ich habe verstanden, was Sie mir sagen wollen. Wenn
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