Die Bucht des grünen Mondes
Hitze und passiert öfter. Und der Kerl war groß. Wissen Sie, nicht alle Indios sind schmächtig und reichen einem nicht weiter als bis zur Schulter. Wir hätten uns beinahe gegenseitig zur Strecke gebracht. Aber der Wald verschluckte ihn plötzlich. Oder mich.»
Er warf den Rest der Zigarette in den Fluss und ergriff wieder die Ruder. «Ja, so war das», sagte er versonnen. «Übrigens, wundern Sie sich nicht über den Indianerskalp in der Bibliothek. Ich habe ihn vom Schädel des Mörders geschnitten.»
Sie beugte sich über das Wasser und würgte den Kaffee hinaus. Ein schmutziges Taschentuch tauchte vor ihrem Gesicht auf. Bevor sie seine Hand beiseiteschlagen konnte, hatte er ihr damit über den Mund gewischt.
«Deshalb bin ich jetzt so etwas wie Wittstocks linke Hand – die rechte ist ja Oliveira.» Er grinste breit. «Deshalb habe ich auch keine Bedenken, mit seiner Zukünftigen durch die Stadt zu fahren. Geben Sie’s zu, Ihre Gedanken kreisen schon die ganze Zeit darum, was Wittstock denken würde, sähe er uns beide in diesem Boot sitzen.»
«Ach, das fänden Sie kompromittierend? An so etwas Albernes habe ich keinen Augenblick gedacht.» Sie hob die Nase und blickte zur Seite. Was bildete er sich ein?
«Er weiß, dass er sich in allem auf mich verlassen kann. In allem! Und das Letzte, was ich tun würde, wäre, sein Vertrauen zu missbrauchen. Ich würde töten für ihn, verstehen Sie?»
Verwirrt wandte sie sich ihm wieder zu. Jetzt brannte in seinen Augen ein Feuer, das die Kraft seiner Worte unterstrich. Sie dachte an sein fehlerfreies, überaus flüssiges Deutsch. Wenn ein Mann aus der Gosse die Kraft aufbrachte, das zu lernen, war seine Treue wohl wirklich grenzenlos. Plötzlich einsetzender Regen ließ ihn eilends die Ruder ergreifen. Amely duckte sich unter ihrem Schirm.
5. Kapitel
Diese Hochzeitsfeier hatte nichts mit dem zu tun, was sich Amely einstmals als junges Mädchen erhofft hatte – und das lag nicht nur daran, dass der Bräutigam der falsche war. Sie fühlte sich eher auf einer Soiree, auf der sich ein merkwürdiger Menschenschlag präsentierte und über Dinge plauderte, die jenseits ihrer verhältnismäßig bescheidenen gutbürgerlichen Welt waren. Anfangs hatte sich das Dutzend aufgeputzte Gäste zurückhaltend gegeben. Man kondolierte Kilian und lobte Gero in den höchsten Tönen. Doch wie bei einer Beerdigung wuchs die Laune, je länger man beisammensaß und je mehr Alkohol floss. Kilians Glas war nie leer. Längst hingen ihm die Haare in die Stirn, die fiebrig glänzte. Mal zeigte er sich jovial, humorvoll und voller Leben – dann wieder hockte er in sich versunken da, mit einem starren Gesichtsausdruck, dass es Amely schauderte.
Nun, sie hatte sich entschieden, ihn mögen zu lernen. So erhob sie sich von ihrem Sessel, trat zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. Sein Kopf ruckte hoch.
«Kilian, möchtest du einen Kaffee?»
«Das Leben geht weiter, meine Liebe», sagte er nur matt und tätschelte ihre Finger. Das wievielte Glas Gin Tonic in seiner Kehle verschwand, vermochte Amely nicht zu sagen. Er schien der Inbegriff der Trinkfestigkeit zu sein.
«Lassen Sie sich die Haare deswegen nicht grau werden», rief einer der Gäste, niemand Geringerer als der Gouverneur des Staates Amazonien. Aufmunternd hob er sein Glas. Beide prosteten sich über den riesigen Tisch hinweg zu, auf dem zahllose mit Knochen, Gräten und Obstschalen übersäte Teller und Schüsseln an fremdartige Genüsse erinnerten: gegrillte Doraden, Tucunarés, Piranhas und die kross gebratenen Schnurrbärte von Welsen. Süßkartoffeln, Kürbisse, Mais, Paranussbrei. Zum Nachtisch hatte es Maracujas gegeben, Acerolas, Pitombas und was es an Früchten mit seltsamen Namen noch gab. Aber auch Schweizer Schokolade und Vanillepudding nach holländischem Rezept. Nun versuchten die Herren ihre Mägen mit Cognac zu beruhigen, die Damen mit
mate de coca
.
«Die Lösung des Problems ist doch recht einfach», sagte der Gouverneur. «Machen Sie es mit den Indianern wie mit den Leuten aus Belém: anfüttern mit Frauen und Fusel, danach unterschreiben sie einen Vertrag, der ihnen einen kleinen Lohn gewährt. Auf die Dauer ist das sogar billiger als Sklavenhaltung.»
«So einfach ist das mit den Indianern nicht», erwiderte Kilian. «In deren Welt gibt es nicht das, was wir unter geregelter Arbeit verstehen. Geschweige denn Verträge. Man muss mit diesem Pack in einer Sprache reden, die auch ein Hund versteht,
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