Die Bucht des grünen Mondes
kehrtmachen. Aber sie konnte nicht anders, sie musste innehalten und ihn genauer betrachten. Schon die Art, wie er seine Zigarre genoss – die Augen zusammenkneifend, den Kopf leicht schräggelegt, die andere Hand in der Hosentasche –, gefiel ihr. Dieses Mal trug er ein Rauchjackett über einem Hemd mit Vatermörderkragen.
Wie aus dem schäbigen Ei gepellt,
dachte sie. Während des Essens hatte sie schon Mühe gehabt, nicht ständig zu ihm hinüberzustarren.
Weshalb er überhaupt anwesend war, wusste sie nicht. Seinem Stand nach gehörte er nicht auf die Gästeliste. Andererseits hatte sogar die Dienerschaft mit am Tisch gegessen. Solche Dinge handhabte man hier offenbar etwas lockerer.
«Es klingt, als sei man dort drinnen soeben auf den Prachtbau umgeschwenkt, den Sie so heiß und innig lieben», sagte er.
«Oh.»
Er schmunzelte. «Ich glaube, sie debattieren gerade darüber, ob ein Schauspiel mit Sarah Bernhardt nicht angemessener wäre, das Teatro Amazonas zu eröffnen.»
«Ach, was verstehen die Männer schon von Kultur», sagte sie bemüht hochmütig. «
Ich
hätte jedenfalls keinen Flatulisten engagiert.»
Mit Schaudern dachte sie an die Geräusche zwischen Hauptgang und Dessert, als ein Komödiant die Melodien bekannter Berliner Gassenhauer gefurzt hatte. Gott allein mochte wissen, wie Kilian auf den Gedanken gekommen war, ihr könne Derartiges gefallen – und das, kaum dass sein Sohn unter der Erde war. Und die Gäste hatten gelacht und sich auf die Schenkel geschlagen.
Nur da Silva nicht. Wollte er wirklich, dass sie wieder hineinging? Oder wollte er sehen, ob sie blieb, trotz des für sie interessanten Themas?
Was denkst du nur für wirres Zeug
, schalt sie sich. Nicht nur das fremde Land war schwer zu durchschauen. Auch die Menschen. Vor allem die.
Es war unschicklich, so lange fortzubleiben, schließlich war sie dem Namen nach die Gastgeberin. Sie trat zurück an die Tür. Auch drinnen war man dazu übergegangen, den Salon, so groß er war, mit Zigarrenqualm einzunebeln. Die drei Ventilatoren an der Decke arbeiteten vergebens. Unentwegt fächerten sich die Damen den Rauch aus dem Gesicht, wobei ihre von Juwelen schweren Armbänder und Colliers klirrten und im Licht der zahllosen Kandelaber glitzerten. Alles war farbenprächtig, alles atmete den Hauch einer Theaterkulisse – die samtenen Sitzmöbel in englischem Stil, die Kristalllüster, die Teppiche, die Gemälde moderner brasilianischer Künstler. Es gab sogar einen Kamin mit vergoldeter Konsole – die Nutzlosigkeit schlechthin.
Niemals hatte Amely in Berlin erblickt, was die Frauen hierzulande an extravaganter Mode zur Schau trugen. Riesige Ballonärmel und Blusenkragen, die so hoch waren, dass sie mit goldenen Drähten gestützt werden mussten. Hüte voller schillernder Federn – Hunderte von Vögeln mussten dafür ihr Leben gelassen haben. Auf einem der Hüte thronte gar ein ausgestopfter Papagei. Die Dame trug ihn, als wöge er nichts.
Welch einen Kontrast bot sie selbst dagegen, in ihrem schlicht geschnittenen Kleid mit bescheidenen Volants und Rüschen an den Säumen. An ihr Gesicht, das drei Mückenstiche zierten, durfte Amely erst gar nicht denken.
«Werde ich jemals selbst so werden?», murmelte sie.
«Ich hoffe nicht.»
Sie machte einen Schritt zur Seite. Wie sah das aus, wenn sie beide so dicht beieinanderstanden? Durch den Gazespalt winkte er dem schwarzhaarigen Steppke, der sogleich zwei Champagnergläser brachte. Eines reichte er ihr. «Ich sagte doch, dass Ihr Gatte mir vertraut. Sie müssen nicht so tun, als kennten wir uns nicht.»
«Vor allem kann er
mir
vertrauen», erwiderte sie, entfernte sich noch einen weiteren Schritt und nippte an ihrem Glas. Malva Ferreira hatte sich erhoben und stolzierte über die Chinateppiche. Das Bemerkenswerteste an ihr war durchaus nicht, dass sie mit ihrem Schleppenkleid wirkte wie dem Varieté entstiegen. An ihren Schneidezähnen blitzten Brillanten. Fassungslos sah Amely zu, wie sie sich die soeben angesteckte Zigarette ihres Gemahls erbat und zwischen die tiefrot geschminkten Lippen steckte. Da musste sie nach Brasilien kommen, um zu sehen, dass eine Frau rauchte! Ihr Vater hätte sie niemals hierher verheiratet, hätte er all diese beschämenden Eskapaden vorausgesehen, dessen war sie sich sicher.
«Sarah Bernhardt zu sehen wäre wundervoll», rief Frau Ferreira, mit der Zigarette gestikulierend. «Ich habe sie ja vor ein paar Jahren in New York als Hamlet gesehen –
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