Die Bucht des grünen Mondes
um irgendwelche Dämonen zu verscheuchen, was weiß ich. Verrücktes Voodoozeug. Wahrscheinlich hat sie mich mit ihren Bedenken bloß angesteckt.»
Felipe versuchte sich vorzustellen, wie man in der Fabrik von Amely Wittstocks Vater solche Dinge tat. Oder sonst irgendwo im Deutschen Reich. Unmöglich. Dort glaubte man ja noch nicht einmal richtig an die katholische Kirche. Arbeiten, essen, schlafen … da blieb kein Platz für Glaube oder Aberglaube. Oder für Liebe.
Nein, nein
, widersprach er sich.
Wittstock hat Madonna geliebt. Und er liebt auch Amely. Aber wenn er sie als Unglücksrabe betrachtet, lebt sie gefährlich
.
Als er sie zuletzt gesehen hatte, war eines ihrer Augen blutunterlaufen gewesen. Sie hatte die Hand gehoben, um es zu verbergen. Aber auch der rote Striemen auf der Wange war ihm nicht entgangen. Mit gesenktem Kopf war sie draußen auf der Freitreppe an ihm vorbeigelaufen – ganz ohne das übliche freudige Funkeln in ihrem Blick, wenn sie ihn sah. Er hatte kehrtgemacht, war hinter ihr hinaufgeeilt und hatte sie vor der Eingangstür abgefangen. Im Schatten dichten Gebüschs hatte er sie gebeten, beinahe gezwungen, ihm zu sagen, was geschehen war.
Ich bin – ich bin im Bad ausgerutscht
, hatte sie gestottert, den Blick fest auf die Bohlen der Veranda geheftet.
Weil mich eine – eine Ameise erschreckt hat
.
Das war tatsächlich passiert, allerdings einige Tage zuvor, und da hatte sie sich das Knie aufgeschlagen. Anscheinend wusste sie noch nicht, dass in einem so großen Haus voll mit tratschender Dienerschaft nichts geheim blieb. Andernfalls hätte sie sich eine andere Lüge ausgedacht.
Dann, endlich, hatte sie doch den Kopf gehoben. Ihr trauriger Blick war ihm durch und durch gegangen. Tat es jetzt noch.
Stumm hatte sie ihn um etwas angefleht. Aber Wut allein änderte nicht, dass ihm die Hände gebunden waren.
«Nun stecken Sie endlich das Schießeisen weg, da Silva. So grimmig, wie Sie dreinschauen, möchte ich ja glauben, Sie schießen mir gleich den Zeh ab. Was soll das?»
Felipe musterte den Revolver. Er hatte gar nicht gemerkt, damit herumgespielt zu haben. «Die Indios haben eine Anakonda gesehen, deshalb …»
«Das Gesindel will sich nur vor der Arbeit drücken.»
Draußen erhob sich Gebrüll. Schreckensgebrüll. Jemand heulte, als würde er vor Furcht und Entsetzen vergehen. Schüsse folgten, Wasser platschte. Und Stille. Erleichterte Stille.
«Falls es diese Gefahr wirklich gab, ist sie wohl soeben gebannt.» Schnaufend erhob sich Wittstock. «Die Leute sollen weitermachen. Ich fühle mich etwas besser.»
«Ja, Senhor.» Felipe stapfte wieder hinaus.
Amely betrachtete die winzigen Holzmasken, ließ Reiskörner und Schnüre durch die Finger gleiten. All das hatte Maria in einem Schälchen auf ihren Nachttisch gestellt. Was der heidnische Mummenschanz nun noch bezwecken sollte, wusste Amely nicht. «Schaff das Zeug weg», befahl sie Bärbel, die hilflos um ihr Bett herumscharwenzelte. «Und bring mir etwas zu trinken.»
«Sie sollten auch etwas essen, Frollein.»
Sie winkte ab. Seit sie hier in ihrem Zimmer lag – seit Tagen –, hatte sie kaum mehr als ein paar Butterbrotscheiben und süße, gebratene Maniokhäppchen herunterbekommen, von Maria wärmstens angepriesen. Dabei fühlte sie sich nicht mehr krank. Die Schmerzen waren fast verschwunden, und die Stoffbinde zwischen ihren Beinen fing nur noch ein paar Tropfen Blut auf.
Bärbel brachte ein Glas Guaraná. Auf eine Berliner Weiße hätte Amely wohl Lust. Vielleicht sollte sie es machen wie die reichen Damen und im Bett Champagner trinken? Ein wenig Bettlektüre würde ihrer Langeweile vielleicht abhelfen. Sie hüllte sich in ihren seidenen Morgenmantel, schlüpfte in die Pantoffeln und schlurfte durch die Gänge. Kilian, sähe er sie hier im Negligé herumlaufen, hätte das sicherlich als den nächsten Fauxpas seiner Gattin empfunden. Aber er war gottlob fort, seine Baustelle besichtigen.
Hier war Amely erst einmal gewesen, als sie sich ein paar Romane hatte geben lassen. Wie überall im Haus bevorzugte Kilian auch hier Möbel im englischen Stil. Große Regency-Bücherschränke wechselten mit einem Sekretär und einer Vitrine ab. Darin stand nicht nur eine silbergerahmte Photographie von Madonna, sondern auch eine von Charles Goodyear, dem britischen Erfinder, der mit seiner Vulkanisation von Kautschuk für Kilians unermesslichen Reichtum gesorgt hatte. Amely dachte, dass man schon sehr in Kautschuk
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