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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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verliebt sein müsse, um sich das Bild eines fremden Mannes in die Vitrine zu stellen. Oder den Kautschukklumpen, der auf dem Sekretär lag, für einen dekorativen Briefbeschwerer zu halten … Viel interessanter war da das Modell eines dreirädrigen Automobils, des
Benz Patent Motorwagens Nummer 1
, wie auf dem Schildchen zu lesen war. Oder der kleine gusseiserne Eiffelturm, ein, wie Herr Oliveira erzählt hatte, sehr beliebtes Mitbringsel, wenn man in Paris gewesen war.
    Der von da Silva erwähnte Indianerskalp wirkte auf seinem Ständer so unwirklich, dass es Amely gar nicht schauderte.
    Auch sich selbst entdeckte sie, in einem dunklen Samtkleid mit Kordelverschnürung, die ihr Dekolleté ansprechend anhob. Ob ihr Herr Vater diese Photographie über den Atlantik geschickt hatte, um Kilian zu beweisen, dass aus dem Töchterlein eine Dame geworden war? Amely schloss die Glastür auf und nahm Madonnas Porträt heraus. Wie ernst und in sich gekehrt sie schaute … die Haut durchscheinend, das ganze Wesen zerbrechlich. Man mochte glauben, sie sei nicht gestorben, sondern von einem Windhauch verweht worden.
Werde ich auch irgendwann so trostlos dreinschauen?
, dachte sie.
    «Du wolltest dir etwas zu lesen holen», ermahnte sie sich. Ob sie sich etwas von dem Stapel von
Jornals do Manaos
nehmen sollte, der auf dem Tischchen lag? Es konnte nicht schaden, ihr Portugiesisch zu verbessern. Wieder entdeckte sie das Wort: escravidão – Sklaverei. Sie versuchte den Artikel zu überfliegen, aber viel verstand sie nicht. Außer dass es wieder um die Abschaffung der Sklaverei ging. Offensichtlich forderte der Artikel nicht nur die Freiheit der Neger, die es seit langem sowieso nur noch auf dem Schwarzmarkt zu kaufen gab, sondern auch die der indianischen Urbevölkerung. Die durfte man nach wie vor nach Gutdünken unterdrücken und ausbeuten. «… der Regenwald ist auch unser Land, aber dort draußen ist Krieg», las sie, die Wörter im Geist sortierend.
Der Regenwald ist auch unser Land, aber dort draußen ist Krieg, ein Krieg um Kautschuk
 …
    Sollte sie das Blatt mitnehmen? Aber wenn Kilian es vermisste? Und was sollte sie sich mit diesen Zuständen beschäftigen, das würde sie nur betrüben, und ändern konnte sie daran nichts. Sie öffnete eine der großen Schranktüren. Tatsächlich, eine ganze Reihe Karl-May-Bände. Nein, darauf hatte sie wirklich keine Lust. Die Schatzinsel, Lederstrumpf, Robinson Crusoe? Die kannte sie längst. Ein Buch über Insekten. Auch wenn sie gelogen hatte, was die ungemein gefährliche Ameise im Bad betraf – sollte sie das Buch nicht besser studieren? Ach nein. Herr Oliveira versorgte sie ja reichlich mit Schauergeschichten über die Tierwelt.
    Zwischen zwei zerbeulten Helmen spanischer Konquistadoren – gehörte so etwas nicht in ein Museum? – entdeckte sie Reiseerzählungen von Amazonasentdeckern. Auch diese Namen waren ihr durch Herrn Oliveira ein Begriff: der Dominikaner Gaspar de Carvajal, der Gonzalo Pizarro auf seiner Expedition begleitet hatte. Pedro Teixeira, der den Amazonas erstmals in seiner ganzen Länge erforscht hatte. Oder Antonio Pigafetta, der mit Magellan um die Welt gesegelt war. Und natürlich Alexander von Humboldt.
    Amely nahm die
Reise nach Südamerika
heraus. Es war eine andere Ausgabe als ihre; diese war voller farbiger Lithographien. Sie trug das Buch zu dem Teetischchen und setzte sich auf einen der Hepplewhite-Stühle.
    «Igitt.» Auf einer Zeichnung hockte ein Eingeborener vor einer Feuerstelle; in seinem Topf kochte eine große Spinne. War es da verwunderlich, dass man in ihnen selber wilde Tiere sah? Nackte Frauen tanzten auf einem anderen Bild – fast meinte Amely, barbarisches Getrommel und Geheul zu hören.
    Sie wollte das Buch zurückstellen, als sie auf die Zeichnung eines Mannes stieß. Ein Krieger offenbar, denn er stand auf einen Wurfspeer gestützt. Über der Schulter trug er einen Bogen. Seine Haut war tief gebräunt oder von Natur aus braun, mit einem goldenen Schimmer. Eine Krone aus roten Federn umgab sein Haar, das anscheinend lang war, nun aber hochgesteckt. Bunte Perlschnüre, an denen Federn hingen, zierten Hand- und Fußgelenke. Das Erstaunlichste war jedoch, dass seine kräftigen Schultern mit Flecken bemalt waren, die an das Fell einer Raubkatze erinnerten, eines Jaguars vielleicht. Ob das Tätowierungen waren?
    Aus der Haltung dieses Mannes sprachen Kraft und Stolz. Er war der Herr der Wildnis. Und auf seine Weise sogar

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