Die Bucht des grünen Mondes
an Pfähle gebunden, ihre Hände dahinter gekreuzt. Im Schein der Kochfeuer sah Aymáho ihr glänzendes Blut an den Schenkeln herabfließen.
Was hatte das zu bedeuten? So brutal die Schädelmenschen ihre Feinde töteten, so hatte er doch nie gehört, dass sie ihresgleichen folterten. Und die Männer, die dort mehr hingen als standen – es waren in der Tat Schädelmänner, erkenntlich an ihren weißen Bemalungen.
Welche andere Kraft war hier am Werk?
Er duckte sich, als er Stimmen hörte.
Istnocheinerderhundeamleben?
Derlinkezappeltnoch.
Ichsehenichts.
Docherbewegtdenarm.
Voller Erstaunen lauschte er diesen fremden Lauten.
Sechs, sieben Männer schälten sich aus den Schatten.
Einer ging über den Platz zur Richtstätte. Aymáho staunte über seine sorglose Art, sich zu bewegen. Als gäbe es keinerlei Gefahren. Dichtgewebte Stoffe hüllten die Glieder des Mannes ein, lediglich Hände und Kopf waren unbedeckt. Weshalb tat er etwas so Beschämendes? Seine Unterschenkel steckten in ledernen Hülsen. Unwillkürlich fragte sich Aymáho, wie er darin laufen konnte. Auf einem Arm, wie ein Kleinkind, trug er einen schwarzglänzenden Stock.
Es war ein Ambue’y – einer der
Anderen
, erkannte Aymáho entsetzt. Menschen aus Legenden: Männer, die von so weither kamen, dass der Verstand es nicht erfassen konnte. Vor langer Zeit hatte man sie für Götter gehalten, aber sie waren nur gekommen, um zu erobern, zu rauben und das angestammte Volk des Waldes, die Ava, zu versklaven. Das hatte seine Mutter früher am Feuer erzählt; nun dachte er zum ersten Mal wieder daran. Man hatte voll Furcht und Respekt von diesen alten Eroberern gesprochen. Irgendwann jedoch, er war noch ein Kind gewesen, hatte man beschlossen, über sie zu schweigen.
«Das Lagerfeuer verwirrt dich, Rodrigo. Oder du hast zu viel getrun… Oh, jetzt sehe ich es auch, er bewegt sich. Aber der müsste doch tot sein! Nach drei Schüssen in den Bauch!»
«Sind zähe Burschen. Wenn er könnte, würde er dir jetzt noch die Zähne in den Hals schlagen.»
«Kann er aber nicht mehr.»
Gelächter folgte all diesen unverständlichen Worten. Einer der Schädelkrieger wandte ihnen den schweißüberströmten Kopf zu. Seine Lippen bewegten sich fast lautlos. Zweifellos ein Fluch, der diese Fremden vernichten sollte.
«Und wie der lebt, der kann ja noch reden.»
Der Mann baute sich vor dem Gebundenen auf. Aymáho wurde plötzlich klar, dass dieser vor Entsetzen zitternde Krieger der letzte Überlebende des Schädelstammes war.
«Schade, dass ihr so wenig entgegenkommend seid», sprach der Fremde seine seltsamen Worte in die Nacht. «Es wäre euch gut ergangen, und ihr hättet mal ein paar neue Dinge gelernt, statt wie mittelalterliche Teufel scheußliche Wände aus Schädeln zu bauen. Hier ist’s ja wie in der Steinzeit. Die meisten Wilden begreifen irgendwann, was wir ihnen beibringen. Aber ihr leider nicht. Sei’s drum.» Er machte auf seinem umhüllten Fuß kehrt. «Verschwinden wir.»
«Was für ein Scheißtag», brummte ein anderer. «Kaum Sklavenausbeute. Nur so ein alter Kerl und ein Mädchen, das zu jung ist, dass es einem Spaß machen könnte.»
«Das holen wir wieder rein.»
Sie stapften zu einem Feuer, an dem lederne Taschen und Stoffbündel lagen. Immerhin ließen sie halbwegs Sorgfalt walten, indem sie sie untersuchten, bevor sie alles auf den Schultern verteilten. Aymáho glaubte, sie wollten gehen, doch dann blieb einer stehen und blickte zurück auf den Schädelmann.
«Ich kann’s nicht ertragen, dass er mich anstarrt.»
«Der ist morgen verreckt.»
«Besser gleich.»
Er hob seinen Stock vors Gesicht. Er schien auf etwas zu warten. Aymáho ahnte, was jetzt passierte – auch davon hatten die Legenden erzählt. Dennoch zuckte er zusammen, als der Knall kam. Der Körper des Aka-yvypóra bebte wie unter gewaltigen Schlägen. Und sackte in sich zusammen.
Die Männer gingen. Zurück blieb das tote Dorf eines vernichteten Stammes. Aymáho trat zwischen den Hütten hindurch und stieg über die Leichen der Schädelleute. Überall waren sie verstreut. Niemand würde ihn mehr hindern, einen Schädel aus der Wand zu brechen. Ein Sieg, wie er dank der Fremden nicht leichter hätte sein können.
Sein Blick glitt die Wand hinauf. Nur noch ein Handgriff fehlte, dann wäre seine Aufgabe erfüllt.
Doch es fühlte sich nicht so an.
Er machte kehrt und folgte der breiten Spur aus Licht und Lärm, welche die Fremden hinterließen.
In den
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