Die Bucht des grünen Mondes
«Mach ich, Senhor da Silva. Schlafen Sie gut.»
«Du auch, Mistkäfer.»
Nachdem der Junge verschwunden war, machte auch Felipe, dass er fortkam. Wahrscheinlich war die Yemanjá, die Miguel gesehen hatte, eines der Dienstmädchen gewesen, das noch schnell eine Gabe zum Igarapé trug. Er überlegte, was er mit dem Rest der Nacht anfangen sollte. Noch einmal hinunter zum Hafen, mit den letzten Feiernden tanzen? Oder in die Stadt, irgendwo zechen? Oder sich doch schon mit der Umarmung seiner Hängematte bescheiden?
Was ihn stattdessen zum Igarapé zog, wusste er nicht so recht. Dunkle Haare, offen bis zur Taille … Ein weißes Kleid … Die vermeintliche Yemanjá war sicher fort.
Doch da stand sie, vom schwachen Licht einer Petroleumlampe erhellt. Rasch kauerte er hinter den Brettwurzeln eines Kapokbaums. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen: Amely.
Er wusste nicht, was morgen sein oder was er morgen entscheiden würde. Die nächsten Minuten jedoch breiteten sich mit aller Klarheit vor ihm aus. Er würde hingehen, sie in die Arme schließen, sie hinunter auf den Rasen ziehen und vorerst vergessen, dass sie die Frau des Mannes war, der ihn aus dem Dreck geholt hatte.
«He, Felipe!»
Er knurrte in sich hinein. Noch eine Störung konnte er nicht gebrauchen. «Verschwinde, Pedro.»
Sein alter Seringuerokumpan kam geduckt näher. «Was machst du …»
Felipe riss ihn am Hemd zu sich herunter. «Still!», zischte er unterdrückt. «Du weckst ja das ganze Haus auf. Wieso schläfst du nicht? Bist du wieder auf der Suche nach Gin? Den wirst du hier im Park nicht finden.»
«Hab dich herumschleichen sehen.» Immerhin bemühte sich Pedro um eine leise Stimme. «Wie sieht’s aus, machen wir noch einen Abstecher in die Stadt, alter Freund?»
«Ich bin nicht dein ‹alter Freund›. Hau endlich ab. Siehst du nicht, dass du störst?»
«Aber was tust du denn … oh. Dort ist ja die Senhora. Was will sie denn da?»
Felipe wollte Pedros Schulter packen und ihn rütteln, dass er endlich zur Vernunft kam und verschwand. Aber selbst wenn er es täte – er konnte sich nicht darauf verlassen, dass Pedro fortblieb. Oder schwieg.
«Weißt du, dass ich es sofort bereut habe, dich aus dem Wald geholt zu haben?», sagte er ruhig. So ruhig, dass Pedro verwundert innehielt, in Amelys Richtung zu glotzen. Nur einen Augenblick dauerte es, hinter ihm zu knien, das Klappmesser aus der Hosentasche zu ziehen und ihm hinterrücks die Kehle durchzuschneiden. Die Augenblicke jedoch, die verstrichen, bis er zu kämpfen und zu zucken aufhörte, schienen endlos.
11. Kapitel
Zwei Monate zuvor
Rote Augen glühten in der Nachtschwärze. Dann gelbe. Wieder rote. Aymáho versuchte zu entscheiden, ob er noch schlief und einen Traumgeist vor sich sah – oder bereits erwacht war, mit dem achtbeinigen Feind dicht vor dem Gesicht.
Diese Unsicherheit hast du deiner eigenen Verwirrung zuzuschreiben
, würde Rendapu sagen. Ein Mann musste wissen, wann er wach war. Ein Mann war auch dann wach, wenn er schlief.
Er blinzelte. Das waren keine Augen … Das Licht bewegte sich, flackerte, es war … Er ruckte hoch, augenblicklich hellwach. Kleine Feuer prasselten irgendwo, viele Schritte entfernt, vom Unterholz fast verborgen. Aymáho rieb sich die Augen, reckte sich und bewegte Finger und Zehen, berührte Arme und Schenkel. Seiner Geistverwandlung zum Trotz wirkte alles an ihm normal; sein Glied stand völlig wirklich von ihm ab. Welcher Traum dies bewirkt hatte, wusste er nicht mehr; wenngleich er sich sonst an seine Träume zu erinnern pflegte. Er würde dem höchsten Gott Tupan ein Dankopfer darbringen, sobald er diese Zeit der Verbannung überstanden hatte –
falls
er sie überstand.
Noch war alles gutgegangen. Ein Skorpionbiss, ein Schlangenbiss, eine dicke Schramme an der Schläfe, weil er nicht rechtzeitig gesehen hatte, dass ein Baum auf ihn fiel. Drei Tage des Herumirrens, bis er den richtigen Wasserlauf wiedergefunden hatte. Nichts weiter Erwähnenswertes. Aber er spürte doch, wie das Alleinsein an seiner Kraft zehrte. Er tastete nach dem Schilfröhrchen, das er sich an die Hüfte gebunden hatte. Bei jedem Sonnenaufgang ritzte er eine Kerbe hinein. Achtundzwanzig ertasteten seine Finger, mehr als die Hälfte fehlte noch.
Auch der Schädel fehlte noch.
Was er bisher erlebt hatte, war nichts im Vergleich zu der Gefahr, die hier an diesem Ort auf ihn wartete. Die Schädelleute waren der wildeste Stamm, von dem Menschen, Bäume
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