Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
diesen Weg auf Messers Schneide nicht gehen wollen, hätte er ihn nicht betreten dürfen.
    Wollte er?
    Er fuhr sich durch die Haare, versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Sehnlichst wünschte er sich, mit diesem Kuss seine Begierde gestillt zu haben. Aber sie war nurmehr angefacht.
    Er öffnete das Tor des Kutschenhauses und hängte seine Laterne an einen Haken. Da stand das Automobil, ordentlich abgedeckt, und verströmte noch den Duft des Petroleums, das statt der Pferde für den Antrieb sorgte. Nun, es war kein Petroleum; was es stattdessen war, hatte er gehört und vergessen. Er hob die Plane und betastete die Reifen.
Daran ist Blut
, hätte Amely jetzt gesagt. Und ihn vielleicht wieder gefragt, ob er am Blutvergießen nichts ändern könne.
    Die feine Dame hatte ja keine Ahnung vom Leben. Von Notwendigkeiten. Sie
war
hier untergegangen, wie er es vorausgesagt hatte. Allerdings hätte er sich bei ihrer ersten Begegnung vor ein paar Monaten nicht träumen lassen, sich in sie zu verlieben.
    Ach nein? Hab ich’s nicht sofort gemerkt?
    Sei’s drum. Nicht zum ersten Mal erwog er, mit ihr fortzugehen. Aber es wäre kein Fortgang, es wäre eine Flucht. Und wohin mit ihr? Wovon sollten sie leben? Seine Barschaft war weder groß noch klein; das Geld würde für die nächsten Monate reichen. Sie selbst besaß einiges an Schmuck, den er mit reichlich Verlust in Santarém oder Belém verkaufen konnte.
    Und dann an der Küste hinunter. Vielleicht nach São Luis. Fortaleza. Rio de Janeiro …
    Er ging in die Hocke und hob die Plane weiter an. Das Gefährt wirkte wunderlich auf ihn. Die Aufmachung Amelys und Wittstocks und wie sie hierauf gethront hatten, während Wittstock eher verzweifelt das Lenkrad drehte, hatte er als höchst albern empfunden – genau das richtige Spielzeug, um bei den Reichen, die stets nach Zerstreuung suchten, Eindruck zu schinden. Dieses Fahrzeug war so viel wert wie ein sorgenfreies Leben in Rio für einige Jahre.
    Ernsthaft einen Weggang mit Amely zu erwägen, war ebenso lächerlich. Sie würde es wahrscheinlich gar nicht wollen. Schließlich waren die Schläge, die sie hin und wieder ertragen musste, wenig im Vergleich zu dem täglichen Kampf um den Lebensunterhalt.
    Aber mich will sie. Wenn ich etwas weiß, dann das.
    Er stöhnte auf. In dieser Nacht würde er es nicht mehr schaffen, einen klaren Gedanken zu fassen. Morgen …
    Hinter ihm raschelten Schritte im Stroh. Auf den Fersen fuhr er herum. Ein übernächtigter Miguel schlurfte heran.
    «Was machst du hier, Mistkäfer?»
    «Hab das Licht Ihrer Lampe gesehen, Senhor da Silva. Darf ich das Au… au…»
    «Automobil.»
    «Genau. Das Automobil. Darf ich gucken?»
    Felipe stemmte sich hoch und warf zur Hälfte die Plane zurück. Staunend umrundete der Junge das Gefährt und befingerte die Mahagonigriffe und das Messinglenkrad. «Es sieht ein bisschen aus wie Senhora Ferreiras Spider Phaeton. Aber dass es von ganz allein fährt … Ich würd’s nicht glauben, hätte ich es nicht gesehen.»
    «Wahrscheinlich hat Malva Ferreira gekocht vor Neid.» Felipe zog die Plane wieder an Ort und Stelle. Noch machte Miguel keine Anstalten, zu verschwinden. «Dir brennt doch noch irgendetwas auf der Zunge.»
    «Ich glaub, ich hab Yemanjá gesehen.»
    «Die weiße Meeresgöttin? Es waren viele Mädchen am Hafen, die so aussahen.»
    «Nein, nein.» Miguel senkte die Stimme zu einem Flüstern. «Hier hab ich sie gesehen. Grade eben. Sie ging über den Rasen zum Igarapé.»
    Prüfend musterte Felipe die großen Augen des Jungen. «Du hast heute an ganz schön vielen Gläsern genippt, hm?»
    «Bestimmt nicht, Senhor da Silva. Ich hab ganz deutlich ihr weißes Kleid gesehen. Und ihre Haare, die hingen ihr fast bis zur Hüfte. Wenn’s nicht Yemanjá war, dann vielleicht die Mutter Gottes?»
    «Du hast eine Marienerscheinung gehabt?» Nur mit Mühe konnte sich Felipe das Lachen verkneifen.
    Miguel kratzte sich am Hinterkopf. «So richtig geheuer wäre mir das auch nicht. Aber in der Véspera-Nacht passieren solche Dinge, sagt die Schwarze Maria. Sonst würde man ja auch nicht die Boote ins Wasser tun, oder?»
    «Ach, Miguel», Felipe klopfte ihm forsch gegen die Wange. «Solche Sachen passieren nur, weil einem der Schlaf fehlt und man zu viel trinkt. Du solltest längst im Bett sein. Also verschwinde.»
    Ein wenig enttäuscht über die nüchterne Reaktion schürzte Miguel die Lippen. Plötzlich gähnte er. Sein Versuch, es unauffällig zu tun, scheiterte.

Weitere Kostenlose Bücher