Die Bucht des grünen Mondes
und Geister erzählten. Nicht nur besaß ein Aka-yvypóra den dreifachen Blutdurst eines gewöhnlichen Kriegers – auch seine Mitleidlosigkeit war dreimal so hoch.
Beinahe lautlos kroch Aymáho durch das Unterholz. Seine Sinne nahmen alles um ihn herum wahr, jede lauernde Gefahr. Weiter voraus sah er Lehmhütten im Halbkreis um eine senkrechte Felswand stehen. Mittig stürzte ein kleiner Wasserfall herab. Zu seinen Seiten waren die Schädel sorgfältig aufeinandergestapelt, vier oder fünf Manneslängen hoch. Um einen herauszubrechen, musste man mit einer Messerklinge hineinstoßen.
Sie würden nicht ruhig zusehen, wie er dort mit großem Getöse herumstocherte. So war die Aufgabe nicht zu bewältigen.
Er musste sich den Schädel aus dem Kopf eines Mannes holen, der noch am Leben war.
Aymáho löste seine Lendenschnüre und das Seil, das ein Bündel Palmblätter hielt. Er faltete es auseinander. Die Früchte der Jenipapo, dazu den Saft der Matyi-Liane, hatte er über den Tag gesammelt; nun würde ihr Mus ihn unsichtbar machen. Er schnitt die Früchte auf, tauchte beide Hände in die blauschwarze Masse und verteilte sie auf seinem Körper. Dann machte er sich daran, sich dem Dorf wie ein Schattengeist zu nähern. Nur die Augen ließen sich nicht schwärzen, und so beobachtete er den Platz durch zusammengekniffene Lider.
Ein Keuchen, ein entsagungsvolles Seufzen vielmehr, ließ ihn zusammenfahren. Da war ein Mensch, nur wenige Schritte links von ihm. Langsam zog er sein Messer und schob es sich zwischen die Zähne. Ebenso langsam kroch er dorthin, von wo dieser schreckliche Laut gekommen war.
Als hauche jemand sein Leben aus … Sollte Tupan es ihm so einfach machen? Auf diese Art wollte er den Schädel nicht bekommen; allerdings war er nicht in der Lage, wählerisch zu sein.
Seine Finger stießen gegen einen weichen Leib. Das war kein verwundeter Krieger. Es war ein Junge, über den er sich mit gezücktem Messer beugte. Der Schädeljunge nahm ihn wahr, öffnete die aufgebissenen Lippen zu einem tonlosen Schrei. Grenzenloses Entsetzen stand in den Augen, in denen sich der volle Mond spiegelte, so sehr waren sie geweitet – und das, wusste Aymáho sofort, lag nicht an der Klingenspitze dicht davor. Er wartete auf Widerstand, als er den bebenden Körper nach Anzeichen von Verletzungen abtastete. Doch der Junge rührte sich nicht. Er krächzte nur. Aymáhos Finger tauchten in blutige Tiefen.
Er ertastete einen harten Gegenstand. Selbst während er diesen mühsam herauszog, schrie der Junge nicht. Was Aymáho in den Fingern hielt, war eine Art Samenkapsel, ungewöhnlich glatt und schwer.
Eisen.
«Vantu», wisperte der Junge. Ein anderer Name für den Chullachaqui. Nur dass dieser Name weitaus dämonischer war.
Hier hatte das Böse gewütet. Und tat es noch.
Nun, es war die Schädelstätte, der Ort des Bösen. Nur zeigte sich das Böse in anderer Gestalt als erwartet.
Aymáho schnitt dem Jungen die Kehle durch. Der letzte Atemzug war ein dankbares Aufseufzen.
Er schob das Messer zurück in die Palmblattscheide an seiner Hüfte und glitt bäuchlings auf das Dorf zu. All jene Geschichten, die man sich an den Kochfeuern und in den Hütten über die Aka-yvypóra erzählte, gingen ihm durch den Kopf. Nicht nur, dass sie als die gefährlichsten Krieger galten, sie schlachteten ihre Feinde voller Hingabe ab. Tranken ihr Blut, aßen ihre pochenden Herzen. Die Wand aus bleichem Gebein war ein beeindruckendes Zeugnis ihres Mutes und ihrer Kühnheit. Und ihrer Grausamkeit. Drei Schädelkrieger, so sagte man, vermochten ein ganzes Dorf auszurotten.
Dennoch fühlte Aymáho keine Furcht, als er sich dem Lichtkreis näherte. Am Tage, ja, als er sein Anschleichen Hunderte Male durchgespielt hatte, da hatte ihn angemessene Furcht in den Klauen gehalten. Jetzt jedoch zählte nur das Handeln. Das Pochen seines Herzens ging unter im Getöse des nächtlichen Waldes und jenem, das sein Geist schlug. Er bohrte einen Finger ins Ohr, im wie stets vergeblichen Versuch, ihn zum Verstummen zu bringen. Er schüttelte das Haar, atmete tief durch. Davon durfte er sich nicht ablenken lassen. Im Schatten einer Hütte kroch er über den festgestampften Lehmboden. Und hoffte, dass sie ihn nicht witterten.
Aber wo waren sie?
Durch das Gestrüpp all der Geräusche vernahm er wieder Stöhnen: Anders klang es, drängender – jemand starb eines schlimmen Todes.
Und endlich entdeckte er sie.
Drei Aka-yvypóra waren vor der Schädelstätte
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