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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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aber was davor kam. Schmerzen, Entwürdigung, Schande, Versagen. Aymáho ballte die Fäuste, um das Zittern, das sich seines Körpers und seines Inneren bemächtigen wollte, zu unterdrücken. Er betrachtete das geschundene Mädchen, um die Furcht mit wohltuendem Zorn zu überspülen.
    Was immer nun geschah, unterwerfen würde er sich nicht.
    Sie wirkten so lächerlich, diese
Anderen
! Unaufmerksam, unwissend, ein Kind könnte sie überraschen. Sie hörten nicht, wie er vom Baum stieg und sich der Tür näherte. Holzfasern zerbröselten unter seinen Fingern, als er die Tür an einem angenagelten Ast aufzog.
    Der Feiste bemerkte ihn zuerst. Keineswegs sprang er wachsam auf; er ruckte nur ein Stück hoch und glotzte. Der andere hob stirnrunzelnd den Kopf und stieß verblüfft klingende Worte aus. Eher unentschlossen langte er nach seiner Waffe. Der zischende Laut, der seinem dünnlippigen Mund entfuhr, galt den Schlafenden, die sich Zeit ließen, zu erwachen.
    Fast reute es Aymáho, seine Waffen zurückgelassen zu haben.
Wollte ich es, wären sie längst tot
.
    Plötzlich geschah, womit er nicht mehr gerechnet hatte: Der Dicke riss seinen Stock mit einer Behändigkeit hoch, die nicht zu seinem Leib passte. Aymáho sah die Öffnung des Rohrs auf sich gerichtet. Ein Blitzen, als entzünde sich darin ein Gewitter. Ein Knall, der den Lärmgeist in ihm zum Verstummen brachte –
endlich
, dachte er noch, bevor er ins Dunkel stürzte.

12. Kapitel
    Ein nie gekannter Schmerz schoss durch seinen Kopf. Nach Atem ringend, als ertrinke er, fuhr er hoch. Überzeugt, dass es noch immer und auf ewig Nacht sein müsse, verwirrte ihn der grelle Himmel, der sich über ihm wölbte. Wolken, vor denen Urubus ihre Bahnen zogen. In die Kronen mächtiger Imbaubas fuhr der Wind.
    Nach einem langen Moment des Staunens, dass er noch am Leben war, wuchtete er sich auf die Knie, neigte sich vor und erbrach sich. Auf seine Schenkel tropfte Blut. Er wollte sich ins Gesicht greifen, um die Ursache zu finden, stellte aber fest, dass seine Arme hinter dem Rücken gebunden waren. Die Erinnerung durchfuhr ihn wie ein Hieb. Die Ambue’y hatten ihn verletzt. Den Göttern und Geistern sei Dank – ihre Waffe hatte seinen Kopf nur gestreift.
    Dann hatten sie ihn gefangen, was seine Absicht gewesen war. Gut fühlte es sich jedoch nicht an.
    Ein Blutrinnsal kitzelte seine Wange. Nun, sehen konnte er noch mit beiden Augen; es schien nicht allzu schlimm um ihn zu stehen. Neben ihm kauerte der Alte. Auch er war jetzt gefesselt. Aymáho sah seinen Blick auf sich, sah seine Lippen sich bewegen. Er neigte dem Greis das eine Ohr zu. Das andere. Beide taub. Er schüttelte sich. Wieder quoll Übelkeit aus seiner Kehle und zwang ihn, sich vorzuneigen. Dann sackte er nieder und schloss die Augen. Unter sich spürte er die schwankenden Bretter eines Bootes. Offenbar hatte man ihn auf den Fluss geschafft. Wozu? Welchem Zweck das Mädchen diente, war kein Geheimnis. Doch warum fing man einen alten Mann und ihn?
    Ein fremdes Geräusch weckte ihn. Hatte sich sein Lärmgeist ein neues ausgedacht, mit dem er ihn quälen konnte? Ein Rauschen, eher ein Stottern. Es klang rhythmisch und irgendwie gemächlich. Darüber lag dumpf das Rauschen des Weißen Flusses.
    Dieses Mal richtete er sich langsamer auf. Das Boot war von ungewöhnlicher Größe, sicherlich maß es an die fünfzehn Schritte. In der Welt der Ambue’y gab es noch viel größere, sagten die alten Erzählungen. Sie waren über das Meer gekommen, vor so langer Zeit, dass die Zahl der Jahre längst in der Geisterwelt versickert war. Das Boot besaß einen Aufbau, eine Art Hütte; davor wölbte sich eine schmutzige Plane, von der rundherum dünngewebtes Tuch hing, offenbar zum Schutz vor Mücken. Im Schatten der Plane hockten die Fremden. Er hörte sie nur; die Hütte verbarg sie vor seinen Blicken. Wie schaffte es das Boot, sich stur in der Strömung zu halten, ohne dass jemand ruderte? Auch dies war ein Beweis ungewöhnlicher Kräfte.
    «Das Mädchen?», krächzte Aymáho. Er erwartete keine Antwort, denn er hatte sich selbst gefragt. Doch der Alte neigte sich ihm zu.
    «Ich hab ihr die Hände um den Hals gelegt, als ich’s noch konnte», antwortete er in dem für Aymáhos Ohr ungewohnten Dialekt. «Besser für sie.»
    Aymáho war sich nicht sicher, ihn richtig verstanden zu haben. Wer war zu so etwas fähig, selbst wenn die Vernunft es einem sagte?
    «Warum … warum lebe ich noch?»
    «Weil du dich schwarz

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